Riesling zum Abschied
Johanna ins Haus, zeigte ihr, wo sie sich frisch machen konnte, und winkte sie dann in einen großen hohen Raum mit dem Charakter eines Loft. Eine Wand war herausgebrochen und durch zwei Pfeiler und einen Träger ersetzt worden, die Bruchkanten waren als Stilelemente belassen und weiß überstrichen. Das hier glich mehr dem Planungsbüro von Architekten als dem Kontor eines Pfälzer Winzers. Vier Schreibtische, bis auf einen von Papier überquellend, standen als Block in der Mitte. Die Fenster an den Längsseiten führten nach draußen, respektive auf den Hof, an den Stirnseiten hingen Bauzeichnungen, Listen und ein Netzplan.
»Wie viele Personen arbeiten hier?«, fragte Johanna und wandte sich an Thomas. »Haben Sie und Ihr Vater zwei Mitarbeiter?«
»Wir sind zu viert«, antwortete er, »wir drei und eine Teilzeitkraft für Bestellungen und Buchhaltung. Der Kellermeister hat sein Kabuff unten.«
Johanna verstand es noch immer nicht. »Und der Dritte?«
Jetzt meldete sich Manuel. »Das ist meiner«, sagte er wie selbstverständlich. Da Johanna noch immer nichts begriff, |64| fügte er hinzu: »Ich arbeite hier – beinahe jedes Wochenende, an allen Feiertagen, in den Semesterferien, wann immer es geht.«
»Manuel ist einer unserer Teilhaber«, ergänzte Thomas, »und beileibe kein stiller. Er hat sich eingekauft. Drei Chefs – ich sag es Ihnen – es ist eine Katastrophe. Wir sind sozusagen die Landkommune, das Großstadtkollektiv, zwei Kölner und ein Bazi, und niemand versteht richtig was von Wein ...«
»... aber wir kriegen das hin, garantiert«, sagte jemand in ihrem Rücken. Erstaunt drehte sie sich um und sah ... Thomas Achenbach? Nein, der Mann dort war dreißig Jahre älter, etwas kleiner und natürlich runder: das Haar grau, ein Gesicht ohne Bart, die Augen, von Lachfalten eingekreist, glichen denen von Thomas, auch die Hände. Der Mann war bester Laune. Das war also der Vater, Philipp – endlich mal ein richtig interessanter Mann ...
Seine Entschuldigung für das Chaos im Raum war nicht ernst gemeint, und er ging zu einem Schreibtisch, auf dem ein Bilderrahmen stand. Johanna hatte ihn vorher bereits bemerkt, er zeigte das Foto einer Frau, die lachend auf ein Gemälde wies. Johanna ließ sich den Seufzer nicht anmerken. Das war also die Ehefrau und Mutter. Wieso waren alle tauglichen Männer vergeben?
»Lassen Sie uns frühstücken, wir haben viel vor, außerdem müssen wir schnell sein, bei der Höhe Ihres Honorars ...« Der Ton nahm der Bemerkung die Schärfe, aber Philipp Achenbach hätte es kaum erwähnt, wenn es ihn kaltgelassen hätte. Er war jemand, der rechnen konnte und es auch können musste.
Nach dem Frühstück ließ Philipp Achenbach es sich nicht nehmen, Johanna das Weingut persönlich zu zeigen. Dabei erfuhr sie, dass er früher für einen Kölner Weinimporteur als Einkäufer französischer Weine gearbeitet hatte. Eines Tages hatte Thomas das BW L-Studium hingeschmissen und eine Lehre als Winzer begonnen. Das war für ihn der Anlass, |65| sich den jahrelang gehegten Wunsch nach dem eigenen Weingut zu erfüllen, selbst Reben anzubauen, den Wein zu keltern und ihn letztlich unter seinem Namen zu verkaufen.
Quereinsteiger machten mittlerweile die Hälfte aller Geisenheimer Studenten im Bereich Weinbau und Önologie aus. Es waren die Ehrgeizigen, sie wollten wissen, lernen, sie hörten zu. Die Studenten mit einem Weinbaubetrieb in der Familie schleppten immer ihre Vergangenheit mit sich rum, mal war es ein Päckchen, mal ein unendlich schwerer Sack. Das Bewusstsein um den sicheren Arbeitsplatz machte sie träge, die unfruchtbaren Debatten mit autoritären Vätern ließen sie gleichgültig werden, und dass sie vieles auf lange Zeit nicht würden ändern können, ließ sie dem Lehrplan gegenüber gleichgültig werden. Philipp Achenbach jedoch musste lernen, er hatte sich für dieses Weingut anscheinend bis an sein Lebensende verschuldet.
»Können Sie bei all dem, was auf Sie zukommt, überhaupt noch ruhig schlafen?«, fragte Johanna. »Ihr Sohn sagte, dass Sie auf Ökobetrieb umstellen, gleichzeitig wird das Weingut renoviert, wie man unschwer erkennt. Jetzt kommt noch meine Arbeit hinzu.«
»Oh, das ist längst nicht alles. Der Vertrieb muss umstrukturiert werden, wir müssen die unterschiedlichsten Maschinen kennen und warten lernen. Wir machen alles in einem Abwasch, wir sind jetzt zu dritt, und meine beiden Juniorpartner, wie ich sie Dritten gegenüber nenne, sind
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