Riesling zum Abschied
Trance die Haustür aufschloss, dann die Wohnungstür und in der Mitte seines Zimmers unschlüssig stehen blieb.
»Bitte gieß meine Blumen«, sagte er und wies auf den kleinen Balkon. »Vergiss meine Rebstöcke nicht. Besonders der Spätburgunder liegt mir am Herzen. Hier ...«, er griff in eine Schreibtischschublade und entnahm ihr eine Mappe, »das ist mein Beobachtungsprotokoll. Führe es weiter, bitte.«
»Sie können dich nicht drin behalten, ihre Anschuldigungen sind haltlos.«
»Du irrst dich gewaltig, mein Freund. Sie brauchen mich. Zum ersten Mal werde ich wirklich gebraucht – als Mörder.«
»Quatsch keinen Blödsinn! Wir brauchen dich, Manuel, mein Vater und ich, Verena, Regine ... wir alle brauchen dich, hier genauso wie auf dem Weingut. Du gehörst dazu, Manuel!«
Doch Manuel antwortete tonlos: »Da können sie ihren ganzen Hass auf andere abladen und ihre Vorurteile gegen die Kinder reicher Leute bestätigen, außerdem bin ich ein Bayer. Du wirst es erleben, Thomas. Dabei habe ich nie darum gebeten, in die Familie Stern geboren zu werden. Das ist nicht meine Schuld.« Er ging zum Schrank, nahm ein paar Unterhosen, zwei T-Shirts , einen Pulli ... »Ist es kalt im Knast?«
»Wir leben nicht im Mittelalter«, sagte der Kommissar und trat von einem Bein aufs andere.
|86| Hier empfindet sich jeder als überflüssig, dachte Thomas, und allen ist die Prozedur peinlich – und unerträglich. Er sah Sechser an, als könne er in ihn hineinsehen, was dem Kommissar sichtlich unangenehm war, sein Kinn wurde hart.
Manuel ging zum Schreibtisch. »Ich schreibe für Herrn Achenbach die Telefonnummer meines Vaters auf. Der soll sich um einen Anwalt kümmern.« Er zögerte. »Nein, er soll ihn bezahlen, sonst nichts, aber du suchst den Anwalt aus, du! Mit den Leuten, mit denen sich mein Vater umgibt, will ich nichts zu tun haben. Die richten bloß Schaden an. Ich gebe dir noch eine Generalvollmacht – du kannst in meinem Namen alles erledigen.«
»Dafür ist jetzt keine Zeit«, unterbrach ihn Sechser, dem daran gelegen war, Manuel endlich abzuführen. »Die Vollmacht können Sie auch im Präsidium in Wiesbaden oder im Untersuchungsgefängnis aufsetzen. Da haben Sie noch genügend Zeit.«
»Mit meiner Mutter zu reden ist überflüssig, aber ich schreibe ihre Nummer dazu.« Manuel beugte sich über den Schreibtisch. Dann griff er in eine Schublade und holte einen Packen Geldscheine hervor. Alle starrten auf das Bündel Fünfzigernoten, das Manuel an Thomas weitergab wie den letzten Besitz eines Verurteilten vor der Hinrichtung. »Für Auslagen und so ... Benzin, wenn du mich im Knast besuchst.«
»Ich lasse dich nicht im Stich, Manuel. Behalte dein Geld. Wir können alles auslegen, du kannst es uns später zurückgeben.« Waren Manuels finanzielle Möglichkeiten der Grund für den Haftbefehl? Er hätte sonst wohin verduften können.
»Dann heb das Geld für mich auf ... aber den Wagen nimmst du, hier sind die Papiere«, er gab Thomas den Fahrzeugschein, »du kannst deine Schleuder schonen, die macht’s nicht mehr lange. Grüße alle von mir ...« Manuel richtete sich auf. »Wir können gehen, Herr Kommissar. Wollen Sie mir keine Handschellen anlegen? Thomas könnte |87| ein Foto machen, zur Erinnerung ...« Die Verzweiflung in seiner Stimme übertönte den Zynismus seiner Worte.
Die Freunde umarmten sich. »Ich hole dich raus, verlass dich darauf.«
Der Kommissar rümpfte verächtlich die Nase. »Wenn Sie mir den wahren Mörder bringen.«
»Den wirklichen, meinen Sie, den, der Alexandra Lehmann tatsächlich ermordet hat?« Thomas bemerkte am Hauptkommissar etwas wie Unsicherheit.
Sie verzichteten auf Handschellen, als Manuel abgeführt wurde, nicht aber auf den festen Griff um den Oberarm. Und dann kam der Akt, ihm beim Einsteigen in den Fond des Wagens den Kopf herunterzudrücken. Es ging Sechser offenbar nicht darum zu verhindern, dass Manuel sich verletzte, es ging ihm ausschließlich um Erniedrigung, sich bei dem beschissenen Job wenigstens einen Moment lang über einen anderen zu stellen. Dabei war Manuel viel zu oft gedemütigt worden. Damit würde es im Gefängnis weitergehen, wenn sich die Türen hinter ihm schlossen, wenn sie ihn gefesselt zum Untersuchungsrichter und zu sonstigen Verhören führen würden – Thomas durfte sich das nicht ausmalen, er hätte keine ruhige Minute mehr. Er musste sich beeilen, diesen verfluchten Mörder zu finden, denn lange würde Manuel den
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