Riesling zum Abschied
Bündel mit dem Geld hervorgeholt hatte. Wieso hatte er überhaupt so viel |90| Kohle im Schreibtisch herumliegen und nicht auf der Bank? Was hatte er damit vorgehabt? Thomas zählte die Scheine. Es waren viertausenddreihundert Euro. So viel Bargeld hatte er nie zuvor gesehen. Wieso war es bei der Hausdurchsuchung nicht gefunden worden?
Verdammt, lass dich nicht von dem Gedanken an Manuels Schuld anstecken. Sicher geht es allen ähnlich, und Thomas dachte an die Leute auf der Straße. Was war ihm vorhin nur aufgefallen? Das Geld hatte ihn abgelenkt.
Thomas stellte sich vor den Schreibtisch und versuchte sich vorzustellen, wie Manuel am Schreibtisch gestanden hatte. Als er ihm die Wagenpapiere übergeben hatte, was war da gewesen? Thomas zog die Schublade auf. Genau. Der Schlüsselbund. Er hatte ihm irgendetwas damit signalisieren wollen. Was war mit den Schlüsseln? Thomas nahm den Bund und sah sich jeden einzelnen an. Haustür, Wohnungstür, Briefkasten, Fahrradschloss und Keller, die Schlüssel ihres Weingutes, Thomas kannte sie alle. Die Bärte waren sehr typisch, und als er zweifelte, verglich er sie mit seinen. Da waren zwei Schlüssel, die er keiner Tür zuordnen konnte. Woher stammten sie? Gab es Türen, von denen Thomas nichts wusste?
Er musste mit seinem Vater darüber sprechen.
»Hallo, Papa?« Es war eine Anrede, die er nur in der Not gebrauchte, und sein Vater wusste das. Aufatmend vernahm er die Stimme seines Vaters. Selten war er so froh gewesen, sie zu hören.
»Was ist los? Irgendetwas ist passiert, wenn du ›Papa‹ sagst. Soll ich raten?«
»Besser nicht, aber passiert ist schon was, etwas ziemlich Schreckliches. Manuel wurde verhaftet. Sie haben ihn eben abgeholt. – Hallo, bist du noch da?«
»Ja, ich bin da, ich bin ... nur ... etwas sprachlos. Wegen dieser ... Alexandra?«
Das Word Mord wollte er lieber nicht aussprechen. »Weshalb sonst?«
|91| »Die bringt ihm sogar nach ihrem Tod nur Unglück.«
»Du sagst es. Aber das ist mir jetzt scheißegal. Es geht um Manuel.« Thomas überschüttete seinen Vater fast mit seiner Angst. »Sie bringen ihn nach Wiesbaden ins Präsidium, da wird er vernommen, und wenn sie Untersuchungshaft anordnen, kommt er wahrscheinlich nach Weiterstadt ins UG. Im Knast geht er kaputt, er steht das nicht durch, sie machen ihn fertig, sie bearbeiten ihn so lange, bis er Verbrechen gesteht, die er nie begangen hat.«
»Hier wird nicht gefoltert.«
»Eingesperrt sein ist für ihn wie Folter.«
»Wo liegt Weiterstadt?«, fragte sein Vater.
»Kurz vor Darmstadt.«
»Dann ist das der Knast, in dem die Rote Armee Fraktion 1993 fünf Bomben hat hochgehen lassen. Das ist nicht so weit, da kannst du ihn besuchen.«
»Die hätten alle Knäste sprengen sollen ...«
»Es würde dir kaum gefallen, alle Verbrecher frei rumlaufen zu lassen, denk mal an ...«
»Das interessiert mich nicht. Ich will wissen, was ich tun soll.«
»Hoffentlich hält Manuel der Polizei gegenüber den Mund, bis sein Anwalt kommt. Hat er einen?«
Thomas gab weiter, was Manuel ihm aufgetragen hatte.
»Das ist in diesem Fall unwesentlich. Wende dich auf jeden Fall an den Vater, damit der Junge einen Anwalt bekommt. Und dann rufst du die Staatsanwaltschaft in Köln an.«
»Du meinst Dr. Anlahr?«
»Hast du einen besseren Vorschlag? Er hat uns in der Champagne sehr geholfen und uns in Köln vor groben Fehlern bewahrt. Ich weiß nicht, wo wir ohne ihn gelandet wären.« Philipp Achenbach zögerte. »Vielleicht ist es besser, ich rufe ihn an ...«
Thomas lachte. »Wir wären in einem französischen Gefängnis |92| gelandet. Glaubst du, dass die Bullen Nachforschungen anstellen?«
»Ganz bestimmt, wenn du ihnen auf die Füße trittst. Und wie ich dich kenne, hast du das vor. Übernimm dich nicht, sei vorsichtig, wir sind in Deutschland, pass auf und hüte deine Zunge.«
»Der wollte mich schon verhaften.«
»Der Kommissar? Der von der Mordkommission? Das wundert mich nicht. Wenn du Manuel wirklich helfen willst, dann bleib cool, so cool wie du noch nie in deinem Leben gewesen bist. Ihr mögt dieses Wort, also halte dich daran. Cool sein ist alles! Und mach dir klar, dass sich das Studium nicht von allein erledigt. Denk daran, dass wir hier etwas aufbauen, was deinen ganzen Einsatz erfordert. Auch ich brauche dich, mein Junge, gerade jetzt.«
»Und Manuel – wen hat der außer mir? Wer kümmert sich um seine Angelegenheiten?« Thomas wusste, was er zu tun hatte: Es
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