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Riesling zum Abschied

Riesling zum Abschied

Titel: Riesling zum Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Grote
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Knast nicht ertragen. Er musste nur durchhalten, bis er ihn da herausgeholt haben würde. Er würde das schaffen, das schwor er sich – und ihm – in dieser Sekunde. Er hoffte inständig, dass Manuel nicht vorher aufgab. Sie durften das Werk, das seine Eltern begonnen hatten, nicht zu Ende führen, sie durften ihn nicht brechen. Er wäre dann das zweite Opfer.
    Der Kommissar blieb kurz an der Beifahrertür stehen. »Sie sollen die Bodenproben nicht vergessen – hat Ihr Freund gesagt«, rief er Thomas zu und schien sich zu wundern, woran ein Mensch im Moment seiner Verhaftung denken konnte.
     
    |88| Dann saß Thomas allein in Manuels Zimmer auf dem Klavierhocker und kämpfte mit den Tränen. Die Wohnung war still und leer und wirkte wie tot, bis auf das Brummen des Kühlschranks. Wie würde sein Freund das Gefängnis aushalten, allein in einer stinkenden Zelle, ohne Licht, ohne Klavier, ohne seine Weinstöcke, die er liebevoll pflegte? Gerade jetzt, wo sie mit dem Austrieb begonnen hatten, wo sich die Gescheine bildeten, die Blüten und späteren Trauben, wo es jede Menge Arbeit im Weinberg gab, genau in dem Moment hatten sie ihn weggeholt. Wie sollten sie ohne ihn die Arbeit schaffen, wie ohne ihn mit dem Einflechten der Triebe fertig werden? Wie sollte er den Stoff des Studiums, der immer umfassender und komplizierter wurde, allein bewältigen? Was durfte Manuel im Knast tun, wer durfte ihn besuchen, was war ihm erlaubt? Durfte er lesen, Bücher empfangen, Musik hören?
    Thomas klimperte ein wenig auf den Tasten des Klaviers. Es hörte sich schrecklich an. Er zog die Hand schnell weg, als ihm in den Sinn kam, dass es das Piano merken könnte, dass er und nicht Manuel daran saß. Der Freund würde hinter den Mauern ohne sein Instrument verrückt werden. Das alles hatte ihm Alexandra eingebrockt, und endlich hatte er ein Opfer für seine Wut. Sogar über den Tod hinaus stellte sie sich zwischen ihn und Manuel. Was sollte er tun, mit wem konnte er darüber sprechen? Es gab nur einen Menschen, mit dem er offen darüber reden konnte – das war sein Vater.
    Thomas stand auf, ging zum Balkon und sah hinaus. Die Nachbarn standen noch immer vor ihren Häusern, es war Montagabend, Feierabend, und es war klar, worüber sie sprachen. Die Nachricht von Manuels Verhaftung würde heute noch in Geisenheim die Runde machen. Im Radio würde es heißen, dass ein der Tat dringend Verdächtiger verhaftet worden sei. Dann kamen die Hyänen von der Boulevardpresse. Würde es morgen an der Hochschule ein Spießrutenlauf werden? Scheiße, alle würden es wissen, und |89| er fürchtete ihre Blicke, als wäre er selbst angeklagt. Ja, sie würden ihn anklagen, weil er Manuels Freund war   ... und wo blieb Regine? Verdammt, wo blieb Regine? Bei der Vorlesung hatten sie kaum ein Wort gewechselt. Wieso musste sie sich gerade jetzt mit ihrem Lover treffen?
    Was war das überhaupt für ein Typ? Thomas setzte sich auf Manuels Bett, dann sprang er wieder auf und ging in die Küche und trank Wasser. Soweit er es herausgehört hatte, war er Jungwinzer aus dem Rheingau, unbekannt, Mittelmaß, zum VDP, dem Verband der Prädikatsweingüter, gehörte er jedenfalls nicht. Wie würde er auf diese Schreckensmeldung reagieren, dass seine neue Freundin in einer WG mit einem Mörder lebte, einem vermeintlichen?
    Mühsam zwang Thomas sich zur Ruhe, setzte sich wieder auf den Klavierhocker und starrte aufs Regal. Schön ordentlich standen die Aktenordner nebeneinander: Botanik, Verfahrenstechnik, Mathematik, Physik, Chemie und Phytomedizin. Er stand auf, nahm den Ordner in die Hand und blätterte ihn durch. Pflanzenkrankheiten war sein schlechtestes Fach, damit hatte er sich bisher am wenigsten beschäftigt, aus der tief sitzenden Abneigung gegen alle Krankheiten. Diese neue Plage genannt Esca, die jetzt nicht mehr nur die Weinstöcke Südeuropas befiel, erforderte genaues Hinsehen. Die Rinde des Weinstocks zerfaserte, die braune Färbung der Blätter erinnerte an Tigerstreifen, und die Beeren bekamen schwarze Punkte. Die hatten Rieslingtrauben sowieso, doch Manuel konnte das unterscheiden. Er sah einer Pflanze an, ob und worunter sie litt, ob es Wasserstress war oder ob der Stock vom Roten Brenner befallen war. Hing das mit seiner Person zusammen, mit seinem Charakter, damit, woran es ihm gemangelt hatte?
    Thomas stellte den Ordner zurück und sah sich um. Irgendetwas störte ihn. Nein, ihm war etwas aufgefallen, gerade in dem Moment, bevor Manuel das

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