Riesling zum Abschied
Breitenbach, |80| dazu sagen. Wie gefällt Ihnen dieser Wein?«, fragte Philipp Achenbach.
Es musste ja so kommen, und Johanna schalt sich im Stillen für ihre Naivität. In diesen Kreisen musste sie sich dieser Frage stellen. Nun gut. Sie empfand ihn als stark und saftig, als einen typischen Riesling, wenn sie sich als Laie dieses Urteil erlauben durfte. Sie meinte, Apfel und Zitrone zu riechen. Die kräftige Säure, die sie beim Riesling oft störte, empfand sie hier als sehr angenehm. Doch wie immer war sie sich nicht sicher. Ihr fehlten die Worte, um zu sagen, was sie empfand.
»Sehr schön«, war alles, was sie herausbrachte. Hoffent lich verlangt niemand nach einer Analyse der Säurewerte und fragt, wie viel Gramm Restzucker enthalten sind und ob die Trauben für diesen Wein auf Schwemmboden oder Taunusquarzit gewachsen sind. Barrique hätte sie sofort wahrgenommen, das Vanillearoma war ihr im Weißwein zuwider.
»Ich finde, dass man dem Wein anmerkt, wie Künstler sich in der Erntemenge beschränkt«, sagte Thomas, der den Wein von seinem Besuch in Hattenheim mitgebracht hatte, »so eine Dichte findet man sonst kaum.« Hochheim Kirchenstück Erstes Gewächs, las Johanna auf dem Etikett, und Thomas erzählte, dass sowohl Gunter Künstler wie auch sein Verwalter in Geisenheim studiert hatten. Da alle ehemaligen Geisenheimer, wie sie sich nannten, weltweit etwas verband, war die Bereitschaft groß, die zukünftigen Ehemaligen an ihrem Wissen teilhaben zu lassen. »Fünftausend Kilo erntet er pro Hektar ...«
»In diese Richtung müssen wir uns auch bewegen«, meinte sein Vater, »wenn wir Erfolg haben wollen. Große Erntemengen verwässern den Extrakt. Wenn wir auf ökologischen Weinbau umstellen, ernten wir sowieso weniger, die Trauben werden kleiner – dafür aber intensiver im Aroma. Wir haben mehr Beerenhaut, sie ist der Farb- und |81| Geschmacksträger. Bisher wurden auf unseren Flächen die Weinstöcke über Gebühr belastet.«
Von Manuel erfuhr Johanna, dass er und Thomas in ihrem Versuchsweinberg verschiedene Rebsorten ausprobieren wollten, ähnlich wie in Geisenheim praktiziert. Es war ein Vorgriff, denn Praktika waren erst fürs dritte Studienjahr vorgesehen. Sie schienen geradezu vom Wein und von ihrer Arbeit besessen. Johanna hörte ihnen wohlwollend zu, während sie mit glühenden Augen erzählten, was sie alles in diesem Sommer geplant hatten. Neben dem Wein gab es sonst für Manuel nach Alexandras Tod nur sein Klavier, und Thomas praktizierte Karate und Tai-Chi. Alles andere war unwichtig. Ach nein, er sei gerade dabei, neue Etiketten zu entwerfen, damit beschäftigten sie sich auch in Geisenheim, ob er ihr die Entwürfe zeigen dürfe?
»Morgen«, sagte Philipp Achenbach, »heute hören wir Kompositionen von Friedrich Gulda, gespielt von Manuel Stern auf einem völlig verstimmten Klavier.« Als der Tisch dann abgeräumt, die Küche aufgeräumt und die Sitzgelegenheiten hergerichtet waren, begann Manuel mit Guldas Variationen zum Doors-Klassiker »Light my fire«.
Spät in der Nacht zeigte Thomas Johanna ihr Zimmer. Es war tatsächlich eine Zelle. Ein weiß bezogenes Bett in einem weiß gestrichenen Raum, ein Stuhl, ein Tischchen neben Kleiderhaken.
Johanna öffnete das Fenster und blickte in die Nacht, noch immer Manuels Klavierspiel im Ohr. Die Nähe zu so vielen Menschen verwirrte sie, nach den intensiven Gesprächen wünschte sie sich Ruhe. Da klopfte Thomas, er stand mit einer Vase und einem Feldblumenstrauß vor der Tür.
»Für Sie.« Er nickte verlegen und wünschte eine gute Nacht.
Johanna lächelte dankbar und begann den Jungen zu mögen.
|82| 5
Der Mann, der zwischen den am Straßenrand geparkten Wagen plötzlich auftauchte, war kein Unbekannter – trotzdem erschrak Thomas, als er Kriminalhauptkommissar Sechser auf sich zukommen sah. Manuel war damit beschäftigt, seine Reisetasche aus dem Kofferraum zu nehmen. Als er den Weinkarton unter den einen Arm klemmte und mit der anderen Hand die Reisetasche ergriff, den Kopf noch immer unter der Klappe des Kofferraums, kam er nicht mehr an die Schlüssel, um den Wagen abzuschließen, und musste entweder den Karton oder die Tasche abstellen. Unschlüssig sah er sich um, erst jetzt bemerkte er den Polizisten – und erstarrte, sein Gesicht gefror, die Reisetasche fiel ihm aus der Hand, der Weinkarton glitt nach unten.
»Sie wollen mich holen«, sagte er leise.
Erst jetzt bemerkte Thomas den zweiten Polizeiwagen. Es war klar,
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