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Riesling zum Abschied

Riesling zum Abschied

Titel: Riesling zum Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Grote
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worden, sie hatten es zumindest in Worte fassen können, und erschöpft waren sie im ersten Morgengrauen Arm in Arm eingeschlafen. War es tatsächlich der Weg zurück zu ihren alten Ufern? Ein Zurück gab es nie. Es würden neue Ufer sein, beide wussten nicht, wie sie aussehen würden, da fehlte ihnen jede Erfahrung. Aber was ihr Mut machte   ...
    Johanna stutzte bei dem Gedanken, sie fühlte sich ertappt. Thomas Achenbach war da schon wieder klammheimlich in ihr Denken geschlüpft. Er hatte sie aufgerüttelt, vielleicht mit seinem Optimismus angesteckt, mit seiner Freundschaft zu Manuel. Sein Bemühen um Manuel hatten sie von seiner Haltung überzeugt. Er und sein Vater bauten ein Weingut auf, sie schufen sich eine Zukunft; sie zu bewundern war besser, als sie zu beneiden.
    Sie schaute aus dem Fenster, und unter ihr öffnete sich das bizarre Panorama der verschneiten Alpen. Der Kopilot ratterte die Ansagen über ihre Position herunter und erklärte, dass sie in Marseille achtunddreißig Grad erwarteten. Johanna schlief ein, träumte von Chemielabors, und beim Erwachen dachte sie wieder an Thomas Achenbach. Über den Chemiker, dessen Name ihr wieder nicht einfiel, hatten sie nichts oder nichts Verdächtiges herausgefunden. Thomas wollte sich an seine Fersen hängen, sowohl innerhalb der FH als auch an seinem Wohnort in Frankfurt. Der Chemiker betreute zwei Forschungsprojekte, an denen Alexandra beteiligt gewesen war. Das warf die Frage auf, ob er |211| ein spezielles Interesse an ihr gehabt hatte, denn seine Vorliebe für besonders junge Frauen war bekannt – unter einer Altersdifferenz von zwanzig Jahren tat er’s angeblich nicht, wie Thomas behauptet hatte. Dabei war der Chemiker ein unscheinbares Kerlchen. Wären die Studentinnen auf gut aussehende Männer abgefahren wie zum Beispiel Professor Marquardt, hätte Johanna dafür Verständnis aufgebracht.
    »Sein Trick, und damit kriegt er sie rum, ist Hilflosigkeit. Das zieht. Er aktiviert den Muttertrieb. Achten Sie mal auf seinen Augenaufschlag. Jede männliche Neurose findet ihre Entsprechung beim anderen Geschlecht.«
    Thomas hatte sich von Alexandras Kommilitonen die Studienpläne besorgt, um sich ein besseres Bild von ihr zu machen, von ihren Beziehungen und ihrem Wissensstand, und hatte seine Einstellung ihr gegenüber nach eigenen Worten »modifiziert«, nicht in menschlicher Hinsicht, dafür aber in fachlicher. Und er hatte herausgefunden, dass der Mann auf dem Foto vom Reitstall nicht ihr Vater war.
    Ihr Schlummer wurde von einer Stimme unterbrochen, die sie aufforderte, den Sitz in eine aufrechte Position zu bringen und sich anzuschnallen.
     
    Die Autobahn im Tal der Rhône war viel befahren und gut ausgeschildert, Johanna fand den Weg sofort, und als sie die Autobahn verließ, konnte sie sich entspannen und die Landstraße in Richtung Westen genießen. Ihr Wunsch würde in Erfüllung gehen, sie würde im späten Licht dieses sommerlichen Nachmittags in Gigondas auf dem Weingut des deutschen Winzers Lothar Meckling eintreffen. Die Domaine du Mont d’Or hatte der ehemalige Finanzmakler vor zehn Jahren gekauft und auf ökologischen Weinbau umgestellt, und jetzt wollte er ihn auch in energetischer Hinsicht zukunftsfest machen. Der Kontakt war durch Carls Stuttgarter Weinclub zustande gekommen, wo man Mecklings Weine schätzte.
    |212| Schmale Straßen zwangen sie dazu, den Fuß vom Gas zu nehmen, Schlaglöcher taten sich auf, die Hügel rückten näher und wurden steiler, das Grün entfaltete sich über der Ebene, der Wein war bedeutend weiter entwickelt als am Rhein, sein Blattwerk war voller. Hier wurde Buschziehung praktiziert, statt die Triebe an Drähten wachsen zu lassen. Deshalb konnte man auch nicht von einer Laubwand sprechen, es war mehr eine grüne, im heißen Wind wogende Fläche. Johanna lächelte vor sich hin, zufrieden mit sich selbst, dass sie die richtigen Worte fand. Das zeigte, dass sie ganz von selbst in die Kunst des Weinbaus hineinwuchs. Im Stillen bewunderte sie die Menschen, die es verstanden, aus Trauben wunderbare Getränke zu machen.
    Dann lag das Dorf vor ihr, beschützt von bewachsenen Felsen, den Dentelles. Es lehnte sich an die »Zähne«, als suchten die Häuser Schutz, und schien mit dem Stein verwachsen. Der Eindruck verstärkte sich durch ein helles, fast strahlendes Grau der hohen Mauern, die Steine waren hier gebrochen. Sicher war es Kalk. Und das hieß, dass die hiesigen Weine nicht nur die Kraft des Südens zum

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