Riesling zum Abschied
Domdechaney kam von kalkhaltigem Lössboden. Regine gefiel er nicht so gut, sie glaubte, dass er im Holz ausgebaut war, was aber nicht der Fall war. Für Thomas war er reif und gut dosiert, ein angenehmes Gleichmaß zwischen Süße und Säure ließ ihn harmonisch wirken, und was Regine als Holzton wahrnahm, war für Thomas mehr ein Duft von Honig. Was ihm noch fehlte, war die deutliche Frucht.
Auf die musste er beim Hattenheimer Pfaffenberg auch noch verzichten, er wirkte relativ verschlossen, ein wenig moosig, dafür war er bereits im Ansatz salziger und mineralisch und frisch in der Säure, seine Tiefe deutete sich an. Es würde spannend werden, diesen Wein mehrere Tage zu begleiten.
Der Erbacher Marcobrunn, eine der besten Lagen des Rheingaus, blieb sehr verschlossen. Es war keine zwanzig Minuten her, dass Regine ihn entkorkt hatte. Aber er zeigte bereits seine Kraft, sein Volumen und eine Üppigkeit, die viel erwarten ließ. Morgen würden sie weiter probieren, obwohl Thomas den Pfaffenberg gern weiter getrunken hätte – und Regine den Marcobrunn ...
|242| Morgens um fünf Uhr klingelte Thomas’ Wecker. Im Vergleich zu seinem jetzigen Leben war sein früheres BW L-Studium geradezu eine Erholung gewesen. Regine hatte ihn daran erinnert, dass Johanna Breitenbach zurück sei und heute ihre Vorlesung halten würde. Er wollte noch das zuletzt Besprochene wiederholen und sich auf das neue Thema vorbereiten. Sie hatte vor zwei Wochen über die Konkurrenz innerhalb der Arten und deren Bedeutung für die Population gesprochen und in diesem Zusammenhang über das Gesetz des konstanten Ertrags. Das hatte nicht unbedingt etwas mit Wein oder Weinstöcken zu tun. Er hatte das Gesetz so verstanden, dass Pflanzen neben der zu Selbstausdünnung auch die Möglichkeit haben, auf die Konkurrenz durch ihre eigene Art zu reagieren. Sie hielten nicht ihre Anzahl gleich, sondern lediglich die Biomasse. Das Gesetz besagte auch, dass unabhängig von der Ausgangsdichte ausgebrachter Samen der Ernteertrag in etwa gleich blieb. Bei geringerer Ausgangsdichte erhielt man wenige große Pflanzen, bei großer Ausgangsdichte viele kleine.
In der Betriebswirtschaftslehre war das Ertragsgesetz ein Modell, nach dem bei stärkerem Einsatz von Geld, Kapital oder Boden durch die Erhöhung nur eines der Faktoren zuerst Ertragszuwächse entstanden, von einer bestimmten Einsatzmenge an abnehmende und schließlich sogar negative Erträge.
Was bedeutete das für ihn? War noch mehr Einsatz für Manuel kontraproduktiv? Verscherzte er sich Sympathien und brachte die Dozenten und Studenten und auch die Behörden weiter gegen sich auf? Vielleicht durfte er nicht so viel unternehmen, sondern sollte gezielter vorgehen? Das hatte sein Vater ihm geraten. Er war neben Johanna Breitenbach der Einzige, von dem er volle Rückendeckung erhielt. Na ja, jetzt machte Regine vielleicht mit ...
Er merkte, wie er schon wieder abschweifte. Er konnte sich kaum noch aufs Studieren konzentrieren. Er würde erst |243| Ruhe finden, wenn Manuel wieder im Nebenzimmer klimperte, mit ihm im Hörsaal saß oder glücklich vom Pflanzen neuer Rebstöcke nach Hause kam.
Heute würde Johanna Breitenbach über das Zusammenleben verschiedenartiger Organismen sprechen, über
Synökologie
. Es war das Thema, in dem er mittendrin steckte. Es ging um Formen des Zusammenlebens, das war ihre WG, es ging um
Symbiose
, da fielen ihm Sechser und der Staatsanwalt zu ein, und bei
zwischenartlicher Konkurrenz
und
Koexistenz
dachte er nur an sein Verhältnis zu den Handtaschen und den Internationalen Weinwirtschaftlern. Das
ökologische Optimum
war die
reale Nische
. Schufen sie sich nicht gerade die ihre in der Pfalz? Über die
Räuber-Beute-Beziehung
sollte er ein andermal länger nachdenken, wenn er mehr über Alexandra wissen würde. Wer war Räuber, wer Beute? Um das zu entscheiden, war dieser Morgen wenig geeignet, viel besser hingegen, um endlich wieder mit Regine zu frühstücken. Zumindest waren sie zu zweit, sie würden auch bald wieder zu dritt hier sitzen. Es ging voran. Die furchtsamen und strafenden Blicke der Verkäuferin im Bäckerladen würden durch ihn hindurchgehen, sagte er sich und schwang sich aufs Fahrrad.
Im Hörsaal waren sechzig Studenten. Als Thomas den Mittelgang hinaufging, Regine an seiner Seite, erstarb das Summen der Stimmen, unzählige Augen verfolgten sie, als würden sie gleich eine Erklärung zur aktuellen Bewertung der Ereignisse abgeben.
Johanna
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