Riesling zum Abschied
Breitenbach, der die Woche in Südfrankreich gut zu Gesicht stand, präsentierte ihren Stoff in routinierter Weise. Thomas dachte an Regines Bemerkungen zu Johannas Vergangenheit. Sein Vertrauen zu ihr erschütterte das nicht, wohl aber hatten die Verdächtigungen seinen Verdacht Florian gegenüber genährt. Was nutzte ihm sein Geschwätz?
|244| In der Pause, die Thomas bis zur praktischen Übung in den Kellereigebäuden in der Mühlstraße verbrachte, sprach er Johanna an. Sie hatte keine Zeit, und es schien sie auch wenig zu interessieren, was Thomas ihr mitzuteilen hatte, wie geheimnisvoll er auch tat. Am Ausgang standen zwei Personen, denen er um gar keinen Preis begegnen wollte: die Handtaschen. Die größere der beiden, aufgebrezelt, als ginge sie zu einem Blind Date, sah ihm entgegen und versuchte sich mit einem arroganten Blick.
Als Thomas geradewegs auf sie zuging und erst in Riechweite ihres ätzenden Parfüms stehen blieb, trat Unsicherheit in ihre Augen.
»Ihr habt das Gerücht in die Welt gesetzt, das mit mir und Frau Breitenbach?«
»Wenn du schon alles weißt, weshalb fragst du?« Steffi, von der Thomas annahm, dass sie bereits jetzt so aussah wie ihre Mutter, giftete ihn an: »Wie – duzt ihr euch nicht? ›Johanna!‹ Das klingt viel intimer.« Sie lachte hässlich. »Er geht jetzt schon mit alten Frauen. Hast du deinen Mutterkomplex nicht abgearbeitet? Tja – da hat der alleinerziehende Vater wohl was versaut. Wie wär’s mit einem Therapeuten? Ich kenn da einen ...«
»Das kann nur eine Null sein, wenn du ihn kennst«, sagte Thomas gehässig. »Deine Magersucht ist ja ins Gegenteil umgeschlagen.« Er wusste, dass die Körperfülle ihr wunder Punkt war, sie versuchte sich mit jeder nur möglichen Diät. Wäre sie ihm nicht dumm gekommen, hätte er das nie gesagt. Er wandte sich zum Gehen.
»Florian hat es aufgebracht, nicht wir, falls dich das interessiert«, rief Steffi ihm nach.
Am Nachmittag kam der Anschiss, zuerst der von den Kommilitonen, mit denen er einen fiktiven Spritzplan gegen Mehltau hätte ausarbeiten und dem Auditorium vorstellen müssen. Er hatte es schlicht vergessen, die Aufgabe war in |245| seinem Chaos untergegangen. Auch sein Vater war ärgerlich, da er die Bodenproben vergessen hatte. Schade, dass man sich nicht zerreißen kann, dachte Thomas und bemerkte mit Genugtuung, dass es ihm egal war.
Mit dieser Haltung ging er auf Florian zu. Es war ihm egal, ob er eine schlechte Bewertung seiner Klausur bekam oder nicht, die Prüfung würde er bestehen.
»Was haben Sie zu Frau Breitenbach und zu mir zu sagen? Was geht es Sie an, wo und zu welcher Zeit wir berufliche Fragen besprechen? Betreiben Sie Mobbing von Studenten und Dozenten? Es geht Sie einen Dreck an, wann und wo ich Dozenten treffe! Und was die nächste Klausur angeht, die werde ich von einem Rechtsanwalt prüfen lassen, falls Sie mir Schwierigkeiten machen. Ich werde mich beim Dekan über Sie beschweren.«
Florian blies sich auf. »Sie können mir sonst was erzählen, Herr Achenbach. Beziehungen zwischen Dozenten und Studenten werden bei uns nicht geduldet. Sie vernachlässigen Ihre Aufgaben. Ich empfehle Ihnen dringend, sich um Ihr Studium zu kümmern, statt den Detektiv zu spielen.« Mit diesen Worten wandte er sich ab.
Thomas verharrte einen Moment lang reglos. Hatte Florian die Verfolgung bemerkt? War er der Mann auf dem Foto an Alexandras Seite?
Thomas sah dem Dozenten nach, aber er entdeckte keine Ähnlichkeiten mit dem Mann auf dem Foto.
Auf dem Weg zum Parkplatz traf er Professor Dr. Marquardt. Sie gingen ein paar Schritte zusammen und blieben vor Manuels Auto stehen.
»Sie fahren den Wagen Ihres Freundes? Wie übersteht er die Haft? Gab es nicht einen Haftprüfungstermin? Bei uns wird viel darüber geredet. Sie wissen sicher am besten Bescheid.«
Endlich kam Thomas mal jemand nicht mit Vorwürfen, und er gab bereitwillig Auskunft.
|246| »Wenn Sie so schlechte Erfahrungen mit dem Anwalt gemacht haben, wenn das Vertrauen zerstört ist, muss Herr Stern sich nach einem anderen Verteidiger umsehen. Es sollte jemand mit mehr Fingerspitzengefühl sein. Vielleicht war Dr. Vormwald für diesen Fall etwas zu hoch angesiedelt? Erfolg verdirbt die Moral.«
»Wie ist das gemeint?«
»Möglicherweise hat er sich nicht tief genug in den Fall eingearbeitet, er hat es sich zu leicht vorgestellt.«
»Aber deshalb lässt man keinen Haftprüfungstermin platzen.«
»Das ist bedauerlich, fürwahr.
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