Rigor Mortis: Thriller Ein neuer Fall für Roy Grace (German Edition)
dünnen Mann im weißen Hemd. Neben ihm stand Ken Acott.
Manche Kollegen behaupteten, der Strafverteidiger erinnere sie an den jungen Dustin Hoffman, und in diesem Augenblick kam er ihr wirklich vor wie ein Held aus einem Film. Mit dem kurzen dunklen Haar, dem schicken grauen Nadelstreifenanzug und der kleinen schwarzen Aktentasche verströmte er Autorität und Zuversicht. Als er die Zelle betrat, blitzten die Schnallen seiner Gucci-Loafer auf.
Acott galt nicht umsonst als einer der besten Strafverteidiger von Brighton and Hove; wenn jemand sie aus diesem Schlamassel holen konnte, dann er.
Als sie seinen selbstsicheren Blick sah, zerbrach etwas in ihr, und sie verlor die Fassung. Mit Tränen in den Augen stolperte sie ihm entgegen.
20
UM KURZ VOR FÜNF SASS ROY GRACE in seinem Büro und trank Tee. Er war fast kalt, weil er sich ganz darauf konzentriert hatte, im Internet nach Informationen über Cleos Gesundheitszustand zu suchen.
Der Tee störte ihn nicht weiter, er war an kaltes Essen und lauwarme Getränke gewöhnt. Da er seit über zwanzig Jahren bei der Polizei war, hatte er längst begriffen, dass Essen und Trinken zwischendurch allein schon ein Luxus waren. Wer auf frisch gemahlenem Kaffee und gesundem, selbstgekochtem Essen bestand, war für diese Laufbahn nicht geeignet.
Die Papierberge in seinem Büro schienen ganz von allein zu wachsen, als wären sie lebendig und pflanzten sich fort, und auch die E-Mails strömten schneller herein, als er sie lesen konnte. Zudem fiel es ihm schwer, sich auf etwas anderes als Cleo zu konzentrieren. Seit er am Morgen das Krankenhaus verlassen hatte, hatte er mehrfach angerufen. Vermutlich hielt ihn die Stationsschwester für einen Zwangsneurotiker.
Er warf einen Blick auf die dicke Akte, die vor ihm lag. Als Leiter der Abteilung Kapitalverbrechen und diensthabender leitender Ermittler war er mit allen aktuellen Fällen vertraut. Für einige Polizeibeamte endete die Arbeit, sobald der Verdächtige verhaftet war, doch für ihn war es nur die erste Stufe. Eine Verurteilung zu erwirken, war häufig schwieriger und zeitraubender, als die Täter zu fassen.
In seiner Welt gab es eine endlose Folge übler Gestalten, doch nur wenige waren widerlicher als der übergewichtige Freak, dessen Polizeifotos gerade vor ihm lagen. Carl Venner, ein ehemaliger Offizier der US-Armee, saß im Gefängnis von Lewes in Untersuchungshaft. Er hatte ein Vermögen mit Snuff-Filmen verdient – Filmen, in denen Menschen tatsächlich gefoltert und getötet wurden. Er hatte sie per Abo im Internet an reiche, extrem gestörte Menschen verkauft. Bei der Verhaftung des Irren war Glenn Branson angeschossen worden, was die ganze Sache noch persönlicher machte. Nun stand der Prozess kurz bevor.
Roy Grace lehnte sich zurück und schaute aus dem Fenster. An klaren Tagen konnte er in der Ferne die Dächer der Stadt und manchmal auch den Ärmelkanal erkennen. Heute aber war alles in einen grauen, winterlichen Dunst getaucht.
Er wandte sich wieder zum Bildschirm und rief die neuesten Meldungen auf. Das machte er jede halbe Stunde. Hier fanden sich alle gemeldeten Vorfälle mit laufenden Aktualisierungen. Außer dem Unfall auf der Portland Road gab es nichts, was ihn betraf. Nur die üblichen Bagatellunfälle, Ruhestörungen, entlaufenen Hunde, Körperverletzungen, Einbrüche und Autodiebstähle.
Bis auf einen großen Vergewaltigungsfall, bei dem er die Ermittlungen geleitet hatte, waren die ersten beiden Monate des Jahres ziemlich ruhig verlaufen. Nun, da es Frühling wurde, schien die ganze Stadt in Aufruhr. In den vergangenen sechs Wochen waren drei Morde geschehen, und das bei einem Jahresdurchschnitt von zwanzig Morden in Sussex. Außerdem hatte es einen bewaffneten Überfall auf ein Juweliergeschäft gegeben, bei dem ein Polizeibeamter ins Bein geschossen wurde, und vor vier Tagen war eine Krankenschwester vergewaltigt worden, als sie auf der Promenade spazieren ging.
Er wollte das Ermittlungsteam in Sachen tödlicher Unfall mit Fahrerflucht möglichst klein und kompakt halten. Die bisherigen Beweismittel und Augenzeugenberichte wiesen auf einen eindeutigen Fall hin. Der Fahrer des Lieferwagens konnte verschiedene Gründe für seine Flucht gehabt haben – möglicherweise war das Fahrzeug gestohlen oder nicht versichert, er selbst angetrunken oder hatte illegale Ware dabei. Es dürfte nicht schwer sein, ihn aufzuspüren. Da Roys bevorzugte Stellvertreterin Lizzie Mantle in Urlaub war, würde er
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