Rigor Mortis: Thriller Ein neuer Fall für Roy Grace (German Edition)
immer die psychisch kranken Patienten ab. Sie selbst hatte in den vergangenen drei Jahren fünfzehn Babys auf die Welt geholt, während Phil in seiner ganzen Laufbahn noch keine einzige Entbindung erlebt hatte.
Vicky hingegen hatte bislang nur einen schweren Verkehrsunfall erlebt, gleich bei ihrer ersten Schicht. Einige Jugendliche hatten sich von einem Betrunkenen mitnehmen lassen. Er war mit hundertdreißig mitten in der Stadt auf einen geparkten Wagen aufgefahren. Ein Junge war sofort tot gewesen, ein anderer noch am Straßenrand gestorben.
»Weißt du, Phil, es ist komisch, aber ich war seit fast zwei Jahren bei keinem Verkehrsunfall mehr.«
Er schraubte seine Wasserflasche auf. »Wenn du lange genug dabeibleibst, wird einer kommen. Irgendwann kommt alles an die Reihe.«
»Du hattest noch kein Baby.«
Er grinste. »Eines Tages –«
Er wurde vom plötzlichen schrillen Heulen der Sirene im Rettungswagen unterbrochen. Das Geräusch konnte einen wahnsinnig machen, vor allem mitten in der Nacht. Sie waren im Einsatz.
Sofort schaute Phil auf den Bildschirm und las die Informationen:
Notfall: 00521. Kategorie B
Portland Road, Hove.
Geschlecht unbekannt.
Verkehrsunfall, drei Fahrzeuge. Fahrrad beteiligt.
Er drückte einen Knopf, um den Ruf zu bestätigen. Die Adresse wurde automatisch ins Navigationssystem geladen.
Das zeitliche Ziel für einen Notfall der Kategorie B waren achtzehn Minuten – zehn Minuten mehr als bei Kategorie A, aber es war immer noch ein Notfall. Vicky ließ den Motor an, schaltete Blaulicht und Sirene ein und fuhr vorsichtig über eine rote Ampel, bog nach rechts ab und beschleunigte.
Phil schaute konzentriert auf den Bildschirm. »Situation unklar«, las er vor. »Mehrere Rufe. Hochgestuft in Kategorie A. Ein Wagen ist in ein Geschäft gefahren. Scheiße, Kollision eines Radfahrers mit einem Lastwagen. Situation nicht unter Kontrolle, Verstärkung erbeten.« Er lehnte sich zurück und zog seine fluoreszierende Sicherheitsjacke durch die Öffnung in der Trennwand.
Sie rasten auf einen verstopften Kreisverkehr zu. Ein Taxifahrer wich auf den Gehweg aus, um sie durchzulassen. Verdammt, endlich mal ein Taxifahrer, der nicht pennt, dachte Phil. Er löste seinen Gurt und zog sich mühsam die Jacke an. Gleichzeitig schaute er weiter auf den Bildschirm.
»Alter unbekannt, Geschlecht unbekannt«, las er vor. »Atemstatus unbekannt. Unbekannte Anzahl von Patienten. Scheiße, schwere Personenschäden. Notarzt unterwegs.«
Mit anderen Worten, die Situation spitzte sich zu.
Dies bestätigte auch die nächste Meldung auf dem Bildschirm. »Abtrennung von Gliedmaßen. Autsch, da hat jemand seinen Pechtag!« Phil schaute zu Vicky: »Sieht aus, als ginge heute dein Wunsch in Erfüllung.«
9
ROY GRACE FAND KRANKENHÄUSER ausgesprochen gruselig – vor allem dieses. Im Royal Sussex County Hospital hatten seine Eltern im Abstand von mehreren Jahren die letzten Tage ihres Lebens verbracht. Zuerst war sein Vater mit nur fünfundfünfzig Jahren an Darmkrebs gestorben. Zwei Jahre später erlag seine Mutter mit sechsundfünfzig Jahren einem Brustkrebsleiden.
Wenn er durch die Tür des prachtvollen viktorianischen Gebäudes mit der neoklassizistischen Fassade trat, die von einem hässlichen Vorbau aus schwarzem Metall und Glas verunziert wurde, kam es ihm vor, als würde sie sich für immer hinter ihm schließen.
Hinter dem Altbau erstreckte sich ein gewaltiger Gebäudekomplex, ein Durcheinander aus neu und alt, hoch und niedrig, verbunden durch ein unendliches Labyrinth von Korridoren.
Als er den Dienstwagen den Hügel hinaufsteuerte und auf den kleinen Parkplatz bog, verknotete sich sein Magen. Streng genommen war er Rettungswagen und Taxis vorbehalten, aber das war ihm jetzt egal.
Als Kind hatte er noch gebetet, als Jugendlicher aber seinen Glauben verloren. Nun betete er jedoch still vor sich hin, dass es Cleo und dem ungeborenen Kind gutgehen möge.
Er lief an einigen Rettungswagen vorbei, die vor der Notaufnahme standen, und nickte einem Sanitäter zu, der neben einem Rauchverbotsschild stand und sich eine Zigarette gönnte. Er nahm nicht den öffentlichen Eingang, sondern die Tür für die Rettungssanitäter.
So früh am Tag war es meistens ruhig. Ein Jugendlicher saß in Handschellen auf einem Stuhl, um den Kopf einen dicken Verband. Neben ihm stand eine Polizistin und plauderte mit einer Krankenschwester. Ein langhaariger Mann mit alabasterweißer Haut lag auf einem Rollwagen und starrte
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