Riley - Die Geisterjägerin - Noël, A: Riley - Die Geisterjägerin - N.N. 4 (nach "Radiance" - The Riley Series)
lassen, das stand völlig außer Frage. Vor allem, weil ich jetzt genau wusste, wie ich Theocoles aus seiner Vergangenheit reißen konnte. Ich wusste genau, wie ich zu ihm durchdringen konnte. Das war eine Entdeckung, die mir mit Sicherheit einen Platz in der Ruhmeshalle der Seelenfänger einbringen würde – falls es so etwas gab. Ich hatte etwas herausgefunden, worüber alle anderen Seelenfänger noch in vielen Jahren bewundernd reden würden. Vielleicht würden sie sogar einen Feiertag nach mir benennen, um dieser monumentalen Errungenschaft zu gedenken.
Der Haken an der Sache war jedoch, dass nicht ich diejenige sein musste, die meine Erkenntnis in die Tat umsetzte. Ich konnte ebenso gut Messalina mein Geheimnis verraten und ihr die Anleitung dazu in die Hand drücken. Schließlich hatte sie die letzten Jahrhunderte nur auf diesen Augenblick gewartet – und ich war mir nicht sicher, ob ich ihr diesen Moment stehlen konnte, ganz gleich, wie viel Ruhm er mir einbringen würde.
Ich bohrte meinen großen Zeh in den Sand. Mir war
bewusst, dass ich ohne Schwierigkeiten an ihr vorbeiziehen und mich in den Mittelpunkt rücken könnte.
Es wäre ganz leicht, aber nicht unbedingt richtig.
Und ganz sicher nicht sehr nett.
Ich seufzte tief und sah zu ihr auf. »Ich kann dich nicht weitere hundert Jahre in Ruhe lassen, also werde ich dir etwas verraten. Wenn du zu Theocoles durchdringen willst, musst du lernen zu flüstern …«
DREIUNDZWANZIG
D as verstehe ich nicht.« Sie sah zwischen Theocoles und mir hin und her, und ihre Miene wirkte voreingenommen und verächtlich. »Wie soll das funktionieren? Er reagiert nur auf das Geschrei der Menge – je lauter, umso besser für ihn. Warum sollte er auf etwas achten, das er nicht einmal hören kann? Etwas, was mit Sicherheit in diesem Lärm untergeht?«
»Weil in der Stille manchmal mehr Kraft liegt als im Getöse«, erwiderte ich und versuchte verzweifelt, ihr zu vermitteln, was ich selbst soeben erst begriffen hatte. »Manchmal findet man alles, was man wissen muss, in der Ruhe. Manchmal lassen wir uns so sehr von dem Lärm und von dem Bedürfnis, anderen gefallen zu wollen, ablenken, dass wir den Kern der Wahrheit vergessen, der in unseren Herzen ruht. Aber nur, weil wir vergessen haben, daran zu denken, heißt das nicht, dass diese Wahrheit nicht mehr da ist. Theocoles liebt dich. Ich weiß es, weil ich euch in seiner Kammer beobachtet habe. Und ich habe seinen Blick gesehen, den er dir schenkte, als er in der Arena zusammenbrach …«
»Ja, und wegen dieses Blicks weigert er sich jetzt, mich
noch einmal anzuschauen.« Sie schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. »Es tut mir leid, Riley. Ich weiß, dass du nur versuchst, mir zu helfen, und das ist wirklich erstaunlich, nach alldem, was ich dir zugemutet habe, aber du verstehst einfach den Sinn nicht, der …«
»Ich habe auch keinen Sinn darin gesehen, an dem Tag, an dem wir uns kennen lernten, das blaue Kleid anzuziehen. Und ich habe keinen Sinn darin gesehen, eine neue und verbesserte Version meiner Person zu manifestieren. Aber letzten Endes hat es funktioniert, und ganz gleich, wie sich die Dinge entwickelt haben, war ich sehr glücklich darüber.« Ich nickte und wollte ihr zeigen, dass das tatsächlich der Wahrheit entsprach, aber sie tat meine Worte rasch ab.
»Das war etwas anderes – ich hatte keinen Einfluss auf den Ausgang des Geschehens.« Sie zuckte die Schultern und sah zur Seite.
»Ach ja?« Ich zog meine Augenbrauen hoch. »Ich meine, ich war diejenige, die sich ein Idealbild von meinem Aussehen erschuf – nicht du. Hatte ich also nicht auch einen gewissen Einfluss auf das darauffolgende Geschehen?«
Auf ihrem Gesicht zeichnete sich ab, dass ihr allmählich etwas klar wurde.
»Versuch es«, forderte ich sie auf. »Du hast nichts zu verlieren, also kann ein Versuch nichts schaden, oder?«
Sie nickte, strich ihr wunderschönes pinkfarbenes
Kleid glatt, zupfte an ihren Locken und rückte ihre Halskette und ihre Ringe zurecht, bevor sie auf ihn zuging. Sie stellte sich neben ihn, als er verwirrt murmelnd auf seine eigene Leiche starrte, und tat genau das Gegenteil von dem, was ich ihr soeben geraten hatte.
Anstatt ruhig und vorsichtig auf ihn zuzugehen, wandte sie sich an die Menge, legte den Kopf in den Nacken, breitete die Arme aus und versetzte das Publikum in einen hemmungslosen Rausch, bis alle im Stadion laut brüllten: Theocoles! Theocoles! Lang lebe
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