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Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel Benchetrit
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Charles Baudelaire.«
    Die Schüler haben sich ausgeschüttet vor Lachen, man hätte meinen können, es gibt ein Erdbeben. Der arme Freddy, dieser Dummkopf, hatte das Gedicht nämlich nicht gelesen, und einer unserer Kumpels, Kader Halfoui, hat es ihm vorgesprochen, damit er es auswendig lernen konnte. Allerdings hatte ihm Kader irgendeinen Mist eingetrichtert, und Freddy plapperte alles brav nach, weil er dachte, Baudelaire würde immer vom Mehr reden, nicht vom
Meer
.
    » Du geiler Mensch, du liebst ihn immer mehr, den Saft./Dein Schwanz erbebt. In seiner Wellen Mauer /Er hoch sich türmt, tropft seiner Seele Schauer
.
«
    Die Direktorin wagte nicht, ihn zu unterbrechen, weil ja die oberen Zehntausend von der Stadtverwaltung anwesend waren und so taten, als würde sie das, was da passierte, überhaupt nicht aus der Fassung bringen. DieseTypen sind ziemlich gut darin, so zu tun, als könnte sie etwas überhaupt nicht aus der Fassung bringen. Zum Schluss haben wir so sehr gelacht, dass Freddy es gemerkt hat.
    »Scheiße … Hab mir doch gleich gedacht, dass eine Seele nicht tropfen kann!«
    Brüllendes Gelächter. Er ging mit der Direktorin hinaus, und wir haben ihn das ganze Jahr hier nicht mehr gesehen, den armen Trottel.
    Ich mag Gedichte. Von Charles Baudelaire habe ich schon einige gelesen. Und selbst da, wo ich sie nicht verstehe, finde ich sie schön. Ich habe ja den Eindruck, es ist gar nicht so wichtig, sie ganz zu verstehen. Diese Dichter sind eben anders. Das ist wie bei Träumen, die muss man auch nicht wirklich verstehen. Das nimmt einem keiner übel.
    Sehen Sie, schon wieder sind meine Gedanken in tausend verschiedene Richtungen geschossen.
    Da fällt mir ein: Ich wollte Ihnen ja von Mélanie Renoir erzählen, vor allem aber davon, was mir heute Morgen passiert ist, eine üble Geschichte. Also von wegen der Sache mit Mélanie Renoir sage ich jetzt bloß, dass mich dieses Mädchen regelrecht umhaut und dass wir darüber später weiterreden.
    Erst einmal konzentriere ich mich wie verrückt und fange meine Geschichte ein. Und die hat es wirklich in sich!
    Alles begann heute Morgen, um acht Uhr früh.

Zweites Kapitel

8 Uhr
     
     
    Morgens um acht Uhr mache ich mich auf den Weg zur Schule. Um halb neun beginnt der Unterricht, aber ich brauche eine halbe Stunde, um durch die Stadt zu fahren. Im Sommer wie im Winter. Es kann schneien oder was immer, und trotzdem muss ich um acht Uhr losfahren und durchquere die Stadt wie ein gefrorenes Würmchen. Heute Morgen war es also ungefähr acht, als ich im Aufzug stand. Die Sache ist die, dass dieses Ding ungefähr einmal alle tausend Jahre funktioniert. Und wenn es mal funktioniert, freut man sich wie ein Schneekönig.
    Als die Türen im Erdgeschoss aufgingen, stand ich auf einmal vor ein paar Bullen. Sie waren zu dritt, darunter eine stramme Frau. Sie erinnerte mich an Madame Boulin, die Direktorin unserer Schule. Sie hätte glatt ihre Schwester sein können. Ich weiß nicht, ob es Ihnen schon aufgefallen ist, aber wenn man zwei Menschen begegnet, die sich ähneln, vermischen sich im Kopf die Bilder, und man bekommt es nicht mehr auf die Reihe, sie auseinanderzuhalten. Die Bullen und die Frau wirkten irgendwie verloren, und man merkte, dass sie sich hier nicht besonders gut auskannten.
    Die Frau wandte mir den Kopf zu und machte ein Gesicht, bei dem einem das Herz in die Hose rutscht.
    Sie fragte mich: »Weißt du, wo Joséphine und Henry Traoré wohnen?«
    »Ähm, im Sechsten.«
    Ohne ein Dankeschön, ohne einen Piep ließen sie mich vorbei, sie traten kaum zur Seite und verschwanden zielstrebig im Fahrstuhl. Mann, war das ein Schreck. Nicht, dass ich überrascht gewesen wäre, dass die Polizisten mich nach unserer Adresse gefragt hatten. Daran bin ich gewöhnt, schließlich macht mein Bruder ja ständig irgendwelche Dummheiten. Merkwürdig fand ich, dass die Frau dabei war. Und dass sie Joséphine sagte. Das ist meine Mutter. Normalerweise wollen sie Henry sprechen, und damit hat es sich. Sie bringen ihn aufs Kommissariat, und meine Mutter muss dann hin und betteln, dass er wieder freigelassen wird. Das ist ganz normal hier, und die meisten Mütter der Drogies kennen den Weg zum Kommissariat und seine widerlichen Amtsstuben auswendig. Als ich zu klein war, um allein zu Haus zu bleiben, musste ich ein oder zwei Mal mit meiner Mutter aufs Kommissariat. Mann, war das öde. Und außerdem tat es mir in der Seele weh, wie sie sich erniedrigte, um Henry freizubekommen.

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