Ringkampf: Roman (German Edition)
einzig wahre Wagnerliebe hatte er nie Verständnis gehabt.
»Du, Richard. Ich bin so froh, daß wir hier sind. Du doch auch, oder?«
An dem Vormittag, an dem ihr Vater dahintergekommen war, daß sie statt in die Schule in die Operging, hatte er ihre gesamten Wagner-Platten zertrümmert. Einen gravierenden Schaden hatte er damit nicht angerichtet, denn sie hatte die Schallplatten bereits alle auf Cassetten überspielt. Die Vorsichtsmaßnahme hatte Gwendolyn ergriffen, nachdem ihr der Vater immer kategorischer
verboten hatte, sich die Wochenenden im Zimmer einzuschließen, um achtundvierzig Stunden Ring zu hören. Obwohl sie die totale Vernichtung an jenem Vormittag noch einmal verhindert hatte, war ihr klar geworden, daß sie in diesem schnöden Haus nicht länger bleiben konnte.
Liebevoll kraulte sie den kalten Freund am Bakkenbart. Außer ihm hatte sie bei ihrer Flucht nur noch die Ring-Cassetten und -Klavierauszüge sowie Papas Schwarzgeld aus dem Wandtresor mitgehen lassen. Die große Freiheit hatte mit leichtem Gepäck begonnen.
Irgendwo flog eine Tür auf und krachte zu. Gwendolyn war sich nicht sicher, aber sie nahm doch schwer an, daß letzte Nacht jemand auf ihrem Flur erstochen worden war.
Sie kratzte sich. Ihre spärliche Zimmereinrichtung stammte aus dem Opern-Fundus. Auf dem weißen Liegestuhl hatte sich schon die Königin von Karthago geräkelt, unter dem wackligen Holzstuhl hatte schon Aida gekauert. Neben der Tür lehnte Parsifals heiliger Speer. Die Matratze hatte Gwendolyn in einem feuchten Kellerraum aufgetrieben. Seit einigen Tagen entdeckte sie überall am Körper winzige rote Punkte.
»Richard, hast du ein Schwein, daß dich die Viecher nicht mögen«, murmelte sie und spuckte sich auf den Oberschenkel.
Bei Gelegenheit wollte sie sich nach besserem Bettzeug umsehen. Einstweilen wickelte sie sich in den schwarzen Vorhangfetzen, nahm ihren steinernen Bettgenossen in den Arm und entschlummerte.
10
Der Regisseur hetzte den Gang herauf, als hinge ihm ein Rudel ausgehungerter Erinnyen an den Fersen. Die Dramaturgin löste ihre Hand von der Türklinke. Sie lächelte ihm entgegen.
»Es geht mal wieder alles drüber und drunter«, keuchte er. Der eisgraue Blick fuhr ihm in die Knochen. »Ich hoffe, du wartest noch nicht lange.« Ohne sie zu berühren, schob er Corain sein Arbeitszimmer, drückte sich an ihr vorbei und flüchtete hinter seinen Schreibtisch.
Die Dramaturgin setzte sich auf die braune Couch und schlug die Beine übereinander.
»Es ist schrecklich«, sagte er nach einer gezwungenen Pause. »Wir hatten ja noch gar keine Zeit, miteinander ein paar Worte in Ruhe zu reden. Wie geht es dir?«
»Danke, ich kann nicht klagen.« Cora betrachtete die gelbe Topfpflanze auf dem Fensterbrett. In diesem Raum schienen die Uhrzeiger seit der Brandnacht für immer stehengeblieben zu sein.
»Haben sie dich einigermaßen anständig untergebracht«, fragte Alexander Raven steif. Er kratzte an der Schreibtischplatte. »Das Apartment, das sie mir gegeben haben, ist eine Zumutung. — Obwohl: Wahrscheinlich sollten wir froh sein, daß wir nicht mehr hier im Haus wohnen müssen.« Er verstummte betreten.
Cora schnupperte. Die Finger, mit denen sie über den rauhen Couchbezug gefahren war, rochen geselcht. Undeutliche Erinnerungsschwaden stiegen auf. Sie legte ihre Hände auf die Knie und blickte Alexander Raven ironisch an.
Der Regisseur pulte unter seinem Daumennagel. Ein Splitter hatte sich in das Fleisch gebohrt. Krampfhaft suchte er nach unvermintem Gesprächsterrain. »Ich habe gehört, du machst diesen Winter Macbeth an der Bastille? Mit Peter?«
Der Räucherkatengeruch aus dem Sofa war intensiver geworden. Leichte Übelkeit befiel die Dramaturgin. Sie versteckte ihre Hände unter den Oberschenkeln. »Ja. Danach einen Maskenball in San Francisco und Totenhaus in Genf.«
»Dann läuft ja alles ganz gut bei dir.« Angestrengt zerrieb der Regisseur den Splitter zwischen seinen Fingern. »Ich habe gehört, du bist nach New York gezogen? «
»Ja. Letzten Sommer.« Widerwillig erkannte Cora die verblichene Daguerreotypie, die über Alexander Raven an der Wand hing. Es war der Uraufführungs-Wotan, unter dessen mißgünstigem Blick Alexander und sie es das erste Mal miteinander getrieben hatten.
»Kleines Loft in TriBeCa «, sagte sie leise.
Der Regisseur nickte unbestimmt. Die Dramaturgin schaute zum Fenster hinaus. Eine Fliege schleppte sich über die Scheibe, schlug sich den Kopf an und fiel
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