Ringkampf: Roman (German Edition)
Assistenten knappe Anweisungen zu. Der junge Mann, der einsam in der ersten Reihe des Zuschauerraums saß, lächelte, nickte und notierte wenige Worte in der Partitur auf seinem Schoß. Edler Eifer, stumme Sorgfalt spannten seine Züge. Mit Wohlgefallen betrachtete Bellini das blasse Gesicht. Blind gab erden Hörnern ihren Einsatz.
Eine unwillige Furche sprang zwischen seinen Brauen auf. » Signori corni !« Bellinis Aufmerksamkeit schnellte zum Orchestergraben zurück. »Spielen Sie das nicht so sicher! Sie müssen dieses Motiv fragender nehmen!« Die Augen des Maestro funkelten. »Eine bedeutende Frage! Eine wichtige Frage! Sie sind die creatori del mondo. Auch wenn Sie es schon tausendmal gespielt haben! Spielen Sie dieses Motiv, als ob Sie es jetzt im Augenblick erfinden würden!« Seine linke Hand ballte die Worte, die rechte spießte sie auf.
» Si, così è già meglio! Aber es kann noch tastender, noch vorsichtigersein! Baaaaa-ba-baaaaa-ba-baaaaa-ba-baaaaaa«, sang der Dirigent seinem Orchester vor.
»Baaaaa-ba-baaaaa-ba-baaaaa-ba-baaaaaa«, echoten die Hörnereins nach dem andren.
Die Musik brandete auf. Bellini krümmte, entfaltete und streckte sich mit den Tönen. Immer schneller schoß er auf den Klangwogen dahin. Klarinettengischt spritzte ihm ins Gesicht. Kontrabaßstrudel zogen ihn in die Tiefe. Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn. Doch es gelang ihm nicht abzubrechen, haltzumachen, um nach seinem Handtuch zu greifen. Unbarmherzig riß ihn der Wagnersche Mahlstrom fort.
12
Eine blonde Talkshowratte moderierte auf dem Regionalkanal die neuesten Nachrichten aus dem Frankfurter Bahnhofsviertel.
Cora überlegte, ob sie nicht doch lieber Elli anrufen und mit ihr auf Sauftour gehen sollte. Durch den letzten Ringversuch waren sie von einem Rausch aus Alkohol und Begeisterung getragen worden. Nächtelang hatten sie sich erst die Weltanschauungen, dann die Biergläser um die Ohren geschlagen. Doch die eingespielte Trinkermannschaft gab es nicht mehr. Der Regisseur als Ehemann nippte nur noch coffeinfreien Kräutertee. Und die alten Assistenten waren in alle Winde zerstreut. Die Idee, mit dem jetzigen einen heben zu gehen, erschien Cora so vielversprechend, wie einen Abend beim Gesprächskreis der homosexuellen Freimaurer unter dreißig zu verbringen. Die Zeit der kollektiven Promilleerlebnisse war vorbei.
Die Dramaturgin stand auf und klopfte sich die Depressionsflusen
von der Schulter. Sie beschloß, die doppelte Dosis Aufmunterung, die sie sich für heute abend verordnet hatte, einzuhalten. Die schon vor längerem gelieferte Pizza wünschte ihr Buon Appetito.
Ekel sprang Cora an, als sie den Karton öffnete. Ein Dutzend Peperoni fläzte sich auf fettigem Tomaten-Käse-Bett. Sie hatte eine Apollo ohne Peperoni bestellt. Mehrmals hatte sie betont, daß sie die Pizza ohne Peperoni haben wollte. Sie haßte diese impotenten Einweckschoten, die sich für scharf hielten. Hatte sie immer gehaßt. Mit spitzen Fingern entfernte sie das flaue Gemüse und warf es auf den Pappdeckel.
Die Talkshowratte war damit beschäftigt, haarsträubende Geschichten ans Licht zu zerren. Sie hatte ihre Beißerchen in einen Mann gehauen, der seine eigene Nichte an ausländische Geschäftspartner verschachert hatte, um seine Schulden zu bezahlen, später dann einen anderen Geschäftspartner um eine halbe Million betrogen und mit diesem Geld die Nichte zurückgekauft hatte. Die Nichte war wieder bei ihren Eltern, der Onkel auf Hafturlaub. Zusammen saßen sie heute abend im Fernsehen.
Cora zog ein Achtel aus der gereinigten Pizza. Es gelang ihr, die schlaff herabhängende Spitze abzubeißen, bevor ihr der verbliebene Belag auf den Schoß rutschte.
Neben dem Telefon lag noch immer das Reklameblatt der Pizzeria La Dolce Vita . Cora malte ein großes rotes Kreuz auf die Vorderseite und ließ den so markierten Zettel liegen. Jeden Tag flatterte ihr die Werbung irgendwelcher Pizzamafiosi in den Briefkasten. Der Dolce Vita wollte sie kein zweites Mal ins Netz gehen.
Die Mattscheibe beschlug. Der Onkel bereute, die Nichte schluchzte, der Onkel schluchzte, die Nichte verzieh, und die Talkshowratte strahlte in satter kathartischer Zufriedenheit.
Cora kämpfte mit dem robusten Käsebelag, als ihre zweite Bestellung an der Tür klingelte. Sie zappte die letzten großen Menschheitstragödien in den Orkus zurück.
Im Treppenhaus war es dunkel.
»Hi, ich bin der Steffen«, verhieß ein schneeweißes Gebiß.
Cora wischte sich einen
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