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Ringkampf: Roman (German Edition)

Ringkampf: Roman (German Edition)

Titel: Ringkampf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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nach wie vor, die großen Fragen. Ihr spielt die abgeklärten Ironiker. Aber in Wahrheit seid ihr wie der Fuchs mit den Weintrauben.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Mir machst du nichts vor, Cora. Nur weil ihr keine einfachen Antworten gefunden habt, denunziert ihr die Fragen. Das ist kein Sieg, kein Fortschritt. Das ist vorauseilende Kapitulation.«
    »Und ihr«, entgegnete die Dramaturgin kalt, »ihr standhaften Künstler, was macht ihr mit den großen Fragen? Ihr sitzt um sie herum wie um ein Lagerfeuer, an dem ihr euch die fröstelnden Seelen wärmt.«
    Es wurde so still im Zimmer, daß das Springbrunnengeplätscher aus dem Park zu Wasserfallrauschen anschwoll.
    Cora blinzelte und strich sich eine schwarze Strähne aus der Stirn. »Ich glaube, wir sollten jetzt ein wenig arbeiten«,
sagte sie trocken. »Die Zeiten sind vorbei, in denen wir dafür bezahlt wurden, Welträtsel zu lösen.«

11
    Präkambrische Stille lag über dem Orchestergraben. Kaum hörbar begannen die Bässe mit ihrem Kontra-Es. Fagotte schichteten die leere Quint aufs tote Fundament. Nur zögernd gab das Archaikum erstes fossiles Leben frei. Acht Hörner tasteten sich nach und nach unbehauene Dreiklänge empor, erschufen nacktes, reines Es-Dur. Arthropoden, Seefedern, Quallen und Stromatolithen lösten sich langsam aus dem Urgrund. Mit schneller strömendem Es-Dur leiteten die Violoncelli ins Paläozoikum hinüber. Kambrium, Ordovizium: Jahrmillionen rauschten vorbei. Brachyopoden und Echinoderme regten sich in den Wassern. Holzbläser und Streicher mischten sich in das Schöpfungstreiben. Das musikalische Silur zeugte reiche Meeresfauna. Flöten hauchten den Fischen Leben ein. Oboen- und Klarinetten-Sechzehntel schossen zu leuchtenden Korallenriffen zusammen. Unablässig sprudelte es in fruchtbarem Es-Dur. Das Devon verging in Sekunden und räumte die Erde dem neuerungsreichen Karbon. Mit den Violoncelli krochen Amphibien und erste Reptilien ans Land. Fremdartige Wasserhybriden tauchten in der Erdgeschichte auf. Munter plätschernde Violinen begrüßten das Mesozoikum und erlösten die Kontrabässe vom ursteinernen Orgelpunkt.
    Benito Bellini legte den Kopf zurück und lauschte in den dämmrigen Zuschauerraum. Er hatte darauf bestanden, die heutige Probe nicht im neuen Orchesterprobenraum,
sondern hier, im renovierten Saal abzuhalten.
    Weich rollten die Wogen über die leeren Stuhlreihen hinweg. Ungehindert liefen sie die blauen Wände entlang. Sanft brachen sie sich an den holzverkleideten Rängen. Hingerissen blickte der Intendant zu den akustischen Messinggittern an der Decke empor. Er liebte sie bereits jetzt, wo der Glasfaser-Sternenhimmel, den sie schirmten, noch nicht leuchtete.
    Bellini beendete das morgendliche Klangbad und klopfte mit dem Taktstock auf das Pult.
    » Grazie! Danke! Signore! Signori! Danke!« Er hob die rechte Hand. »Den Anfang, bitte, da capo !«
    Der musikalische Ozeanriese stampfte noch einige Sextolen weiter, bevor seine unzähligen Klappen, Saiten und Ventile zum Stillstand kamen. Am Bremsweg des Orchesters bemaß sich die Autorität des Dirigenten.
    Bellini schenkte seinen Musikern ein madonnenhaftes Lächeln. » Signore! Signori! Nicht schlecht. Garnicht schlecht. Aber: Meine lieben fagotti und bassi ! Die ersten Takte ! Wie oft soll iches Ihnen sagen ? Bitte, spielen Sie dort nicht einfach irgendeinen Ton!«
    Der Maestro senkte die Spitze seines extra langen, extra schweren Wagner-Taktstocks auf die Partitur. »Wenn Sie in Ihre Noten schauen: Es heißt tranquillo in moto sereno, ruhig heitere Bewegung. Die Musik muß fließen. Sie sind der Rhein. Ein großer, breiter Strom. Was ich eben von Ihnen gehört habe, das war nur ein dünnes Rinnsal.«
    Eine Fagottistin lachte auf. Der Blick des Dirigenten übte milde Nachsicht. »Also, geben Sie alle ein wenig Vibrato, non troppo, ma un poco, und die bassi , bitte, einen
etwas dichteren, geschmeidigeren Bogenstrich. Kann ich das haben ? Per favore !«
    Der Erdgeschichtszähler surrte zur Null zurück, die Musiker setzten ihre Bögen und Mundstücke an, und auf des Maestros Zeichen begann die Rheingold -Ouvertüre zum zweiten Mal.
    In Bellinis Hand wurde der Dirigentenstab zur Schlange. Mit weichen Gesten zeichnete er die Wellen vor, die das Orchester kolorierte.
    »Gut, bene, behalten Sie das«, rief er im Rhythmus seiner Schläge. Ohne zu stocken, pulste der Takt weiter, während Bellini sich abwandte. Über die Schulter flüsterte er seinem neuen musikalischen

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