Ringkampf: Roman (German Edition)
brummend auf das Sims zurück.
Alexander Raven klatschte in die Hände. »Hast du die Regiebücher dabei?« Er bemühte sich, frisch zu klingen.
»Ja sicher.« Cora bückte sich nach der schwarzen Lacktasche zu ihren Füßen.
»Es ist ein unwahrscheinliches Glück, daß sie noch da sind«, sagte er. »Ich habe das Gefühl, ohne sie stünden wir völlig im Dunkel.«
Coras Augenbrauen rutschten stirnaufwärts. »Was sind denn das für neue Töne ? Früher hast du doch jeden zur Sau gemacht, der es wagte, dir ein Regiebuch unter die Nase zu halten. Die Idee einer Inszenierung ist der offene Prozeß und nicht irgendwelche Festlegungsscheiße. Erinnere ich mich richtig?«
»Aber genau das ist es doch, was jetzt von uns verlangt wird: Festlegungsscheiße. Ich habe mittlerweile den Eindruck, denen wäre es am liebsten, wenn wir die fertige Inszenierung ganz ohne Proben aus dem Hut ziehen würden. Die sind hier alle geil auf ihre Eröffnungspremiere wie die Jungfrau auf den Anstich.« Der Regisseur stand heftig auf. Erpantherte durchs Zimmer. »Im Grunde hatten wir das Ideal damals erreicht.« Seine Stimme senkte sich. »Was ist schon eine Aufführung gegen die Verbrennung einer Aufführung? Diese unglaubliche Kraft. Diese großartige Verschwendung. Das, was wir jetzt machen, ist doch nur noch kleinkarierte Verbraucherkacke.«
Die Dramaturgin grinste schwach. »Ich hatte an jenem Morgen nicht gerade den Eindruck, daß du vor Begeisterung zusammengebrochen bist.«
Der Regisseur blieb am Fenster stehen. Sein Blick zerfranste. »Ich bräuchte Zeit. Zeit und Ruhe, mich noch einmal hinzusetzen, noch einmal alles von Anfang an zu entwickeln. Dann erst wäre es wieder eine lebendige, eine ehrliche Arbeit. So wie wir jetzt probieren, bekomme ich kein Gespür mehr für meine Inszenierung. Ich höre mich reden, ich wiederhole meine alten Gedanken und finde in dem Moment auch alles richtig. Aber wenn ich es dann vor mir sehe, erscheint es mir wie ein Schattenriß.«
Die Dramaturgin schaute ihm lange zwischen die Schulterblätter. »Die Inszenierung war doch damals schon ein Schattenriß.«
Alexander Raven fuhr herum. »Was soll das heißen?«
Ihre Augen wurden schmal. »Wenn du im kosmischen Maßstab zeichnest, können nur schemenhafte Konturen entstehen. Das Große und Ganze wollten wir damals auf die Bühne stemmen: die unausweichliche Selbstentzweiung der Natur; den ewigen Kampf zwischen Gesetz und Individualität, zwischen Begierde und Entsagung; und während der neue Mensch den Horizont erklimmt, bricht die verfaulte Welt auseinander.« Sie lachte auf. »Wir haben Mumien in den Ring geschickt, und du wunderst dich, daß es ein lahmer Kampf geworden ist. Bevor wir diesen metaphysischen Mull nicht herunterreißen, wird nichts Spannenderes dabei herauskommen.« Sie schlug mit der Hand auf die Sofalehne. »Worum kreist denn dieses ganze Wagnersche Weitengetöse, wenn wir es einmal aus nüchterner Nähe betrachten? Es geht um Mord, Anstiftung zum Mord, Totschlag, Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Brandstiftung, Diebstahl, Vertragsbruch, Frauenhandel, Heiratsschwindel, Hausfriedensbruch, Tierquälerei, Vergewaltigung und Inzest. Das einzig Kosmische am Ring ist das Gesamtstrafenregister seiner Helden. Warum weigerst du dich zuzugeben, daß diese übergewichtige Kopfgeburt in Wahrheit nur eine verschärfte Sex & Crime-Ballade ist? Schmeiß deine Parabeln und symbolischen Bühnenräume auf den Müll. Setz Wotan in die Chefetage eines Bankenturms, Alberich in den Heizungskeller, Siegfried in den Health -und die Rheintöchter in den Sauna-Club . Dann erst laß sie aufeinander losgehen.«
Alexander Raven wandte sich abrupt ab. »Mit diesem kastrierten Zeitgeistzynismus hast du ja damals schon geflirtet«, sagte er bitter. »Ich hätte nicht geglaubt, daß du ihm irgendwann so restlos erliegen würdest. Meinetwegen kannst du Mozart zwischen U-Bahn-Schacht und Coffeeshop spielen lassen, aber aus dem Ring wirst du mit mir kein Mafia- oder Wallstreet-Epos machen.« Angestrengt starrte er an der vertrockneten Topfpflanze vorbei. Seine Hände zuckten. »Mir scheint es auf Dauer eine ziemlich schale Befriedigung, in jeder Oper krampfhaft die Seifenoper zu enttarnen.«
Cora lächelte verhangen. »Aus der hohen Kunst ist ein Fesselballon geworden«, sagte sie. »Ein Fesselballon, der nur deshalb noch steigt, weil Leute wie du weiter Heißluft in ihn hineinblasen.«
Der Regisseur drehte sich um. Sein Blick brannte. »Sie stellen sich
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