Ringkampf: Roman (German Edition)
Mondkrater zurückgelassen hatte. Stumm bewegte sich der Mund. Langsam stülpten sich die leicht geöffneten Lippen nach vorn. Der Regieassistent achtete darauf, daß die Ränder seiner gewölbten Zunge einen festen Abschluß am harten Gaumen bildeten und ihre Spitze nicht ganz bis an die oberen Schneidezähne heranreichte. Vorsichtig ließ er einen Luftstrom durch die sagittale Rinne des Zungenrückens entweichen.
Da war es wieder. Dieses unerträgliche Geräusch. Dieses grausame Keuchen.
Zornig schleuderte Reginald ein besticktes Sofakissen gegen die Wand. Die Putten zogen erschrocken die Köpfe zurück.
Eine schlechte Laune der Natur hatte ihn mit einem Sch -Fehler ausgestattet. Seit über zwanzig Jahren kämpfte er gegen diese artikulatorische Misere, hatte Ärzte aufgesucht, Logopäden, Stimmbildner, hatte Sänger um Rat gefragt, doch alles vergeblich. Nicht ein einziger voller Zischlaut war je über seine Lippen gekommen.
Dieses Stigma hatte Reginald dazu gebracht, seine Sprachgewohnheiten gänzlich umzustellen. Begriffe, die den verhaßten, heiß ersehnten Laut enthielten, hatte er weitestmöglich aus seinem Wortschatz verbannt.
War der verbale Hürdenlauf insgesamt unerfreulich, so schmerzte ihn doch am meisten, daß sein phonetisches Anderssein ihn von zwei wesentlichen Bereichen menschlicher Kommunikation nahezu vollständig ausschloß: dem Fluchen und dem dirty talking . Von’cheiße bis’chwanz kaum ein Wort, das sich nicht von selbst verboten hätte.
Vor einem halben Jahr hatte Reginald sein Opernregiestudium in Hamburg abgeschlossen und war nach Frankfurt gezogen. Naturgemäß litt erunter dem Hessischen wie kein zweiter. Bei den s-pitzen S-teinen hatte er eine gewisse sprachliche Geborgenheit gefühlt. In diesem Landstrich jedoch lauerten hinter jeder Ecke idiomatische Heckenschützen. Von überall schrapnellten hier die Gude Morsches, peitschten ihm die Bembelscher um die Ohren.
Die Flügeltüren des Salons öffneten sich leise. Zwischen den lebensgroßen Porzellan-Leoparden, die den Durchgang bewachten, erschien Benito Bellini. In seiner Armbeuge ruhte ein Sektkühler mit Champagnerflasche. Ein seidener Morgenmantel spielte um seine sehnigen Waden.
»Bambino, cosa stai facendo?« Auf blanken Sohlen schritt der Maestro zum Diwan. »Reginald, was ist los mit dir, du bist so abwesend. Ist dirnicht gut?« Ersprach den Namen Redschinald aus.
Der Assistent zuckte zusammen. »Wie? Ach, verzeih. Ich war gerade mit den Gedanken woanders. Bei der Probe morgen«, improvisierte er. »Du weißt ja – « er zupfte an den Enden von Bellinis Seidengürtel, »es ist die erste Produktion, für die ich richtig und ganz allein verantwortlich bin.«
» Carissimo, es ist für uns alle ein wichtiger Tag. Molto importante. Ich werde die ersten Takte hören, in meinem Haus, von meinem Orchester!« Bellini stellte den Champagner auf einem Rosenholz-Tischchenab. Leise brummte er den Anfang vom Rheingold. Erbarmungslos hielt seine Linke die imaginären Baßinstrumente in der Urschlammquinte fest, während seine Rechte die Hörner langsam das Werdemotiv hinauflockte.
» Caro, ich kann es kaum erwarten.« Der Maestro senkte die muskulösen Arme und streckte sich neben dem jüngeren Mann aus. »Tanti anni« , seufzte er, »so viele Jahre.« Sein Kopf sank an Reginalds Brust. »Endlich wird mein Lebenswunsch Wirklichkeit. Wie lange habe ich dafür gekämpft!«
»Ja, ich fühle mich auch ganz aufgeregt«, flüsterte der Assistent. Seine Finger spielten mit Bellinis schwarzen
Locken. »Es ist so eine – so ein großes Werk. Deine Rede heute nachmittag, was du bei der Konzeptionsversammlung gesagt hast – das warsehr – es hat mich sehr bewegt.«
Der Maestro machte sich los. Er lachte. »Du Lieber! Auf uns! Auf Wagner! Auf den Jahrtausend-Ring! Alla salute dell’opera eterna! « Er ließ den Champagnerkorken knallen. Mit hellem Klang berührten sich die edlen Kristallkelche. Wie eine Schlangenhaut glitt Bellinis Morgenmantel zu Boden. Mit leisem Klatschen berührten sich die nackten Männerkörper.
Reginalds Zunge folgte den Champagnertropfen, die am Rückgrat des Maestros hinabkrochen. »Dein Ring wird in die Annalen eingehen«, hauchte er.
4
Der Himmel war ermattet. In Zeitlupe raffte er das Kleid aus graphitgrauem Satin, das er die ganze Nacht getragen hatte.
Die Glasfront des Opernhauses begann zu erröten. Die frisch polierten Goldwolken wachten auf. Unbehaglich kauerte das Gebäude zwischen den eleganten
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