Ringwelt 11: Die Flotte der Puppenspieler
sich unter der Eisdecke ein Wasserozean, der die gesamte Welt überzieht«, merkte Omar an. Unruhig ging er in dem schmalen Gang des Gemeinschaftsraums auf und ab, dem größten Raum im ganzen Schiff – vom Maschinenraum abgesehen, aber der war voller Gerätschaften. Eric und Kirsten hatten sich in kleine Nischen zu beiden Seiten des Gangs gekauert.
Nessus beobachtete sie von der Luke aus, während Omar ihre bisherigen Befunde zusammenfasste. Ein Großteil dessen, was besprochen wurde, waren eher ›Bestätigungen‹ als ›Entdeckungen‹. Die Instrumente der Flotte waren wirklich sehr empfindlich. Sämtliche Befunde der Mannschaft würden mit dem abgeglichen werden, was der Flotte bereits bekannt war. Nessus hoffte, dass die drei Kolonisten das bislang noch nicht herausgefunden hatten.
»… so ergibt sich nach dem Ausschlussverfahren, dass, wer auch immer für diese Radiosignale verantwortlich ist, sich unterhalb der Eisdecke befinden muss«, schloss Omar. Hin und wieder blickte er zu Nessus hinüber, wartete auf ein Zeichen der Zustimmung.
Captain Omar Tanaka-Singh war hochgewachsen und drahtig und hatte auffallende Hängeschultern. Wild zerzaustes braunes Haar – Nessus hatte sich schon gefragt, ob der Captain ganz bewusst seine eigene Frisur nachgeahmt hatte – betonte seine verkniffene Miene noch. Omar organisierte und verwaltete sämtliche Aktivitäten an Bord; für deren Festlegung jedoch war er nicht zuständig. Auch wenn er nicht diesen Titel trug, so hatte bei dieser Mission doch Nessus den Posten des ›Hintersten‹ inne – er war derjenige, der von hinten aus führte. Der Captain koordinierte die Aufgaben, so wie Nessus sie delegierte.
Bevor er für die Ausbildung zum Kundschafter ausgewählt worden war, hatte Omar als Agrikultur-Logistiker gearbeitet. Bei dieser Tätigkeit hatte er langfristige Wetterprognosen mit verfügbaren Transportmöglichkeiten korrelieren müssen, mit Pflanzenschädlings-Mutationen und noch mindestens einem weiteren Dutzend ähnlich unscharf definierten Faktoren. Diese Arbeit erforderte interdisziplinäre Analysefertigkeiten und eine große Toleranz gegenüber Mehrdeutigkeiten gleich welcher Art. Und doch – auch wenn es natürlich wichtig war zu entscheiden, was zu pflanzen und wann zu ernten sei: In der Agrikultur änderten sich die Dinge nur langsam. Wie mochten Denkprozesse, die üblicherweise an jahreszeitlich bedingte Wachstumsperioden gewöhnt waren, mit der Erkundung des Unbekannten zurechtkommen?
Einige Dinge ließen sich aus der Ferne nicht in Erfahrung bringen. Wäre dem nicht so, sinnierte Nessus, gäbe es ja keinerlei Bedarf an Kundschaftern. »Omar, wie können Unterwasserlebewesen Radiowellen erzeugen?«
»Eric, warum übernimmst du das nicht?«, sagte Omar, statt Nessus’ Frage zu beantworten.
Eric Huang-Mbeke war ihr Ingenieur. Er war klein und untersetzt, seine Haut ockergelb, seine Lippen waren fleischig, seine Zähne erstaunlich klein. Der Blick aus seinen dunklen Augen hatte stets etwas Stechendes. Sein Haar, von Natur aus schwarz, war von langen bunt gefärbten Strähnen durchzogen; ganz im Stile der Bürger hatte er sie sogar aufwändig geflochten.
Die Instrumente der Explorer konnten nicht unbegrenzt dicke Wasserschichten durchdringen, aber diese Einschränkung stellte offensichtlich nicht die Hauptsorge des Chefingenieurs dar. Warum sollten diese Aliens überhaupt Radiowellen verwenden? Schall war für die Unterwasserkommunikation doch ungleich besser geeignet! Selbst in völlig reinem, entsalztem Wasser wurden Radiowellen äußerst schnell abgeschwächt. An den Stellen an der Oberfläche, an denen Wasser die Eisschicht durchdrungen hatte, war es der Explorer gelungen, genügend Messungen durchzuführen, um den Salzgehalt dieses Ozeans zu bestimmen – und er war beträchtlich. Unter dieser Eisdecke konnten Radiowellen eindeutig kein sonderlich nützliches Medium darstellen.
Und was noch verwirrender war: Wie konnten Bauteile für ein Radio oder entsprechende Antennen unter Wasser überhaupt hergestellt werden? Während Eric Hypothesen über Streifzüge an der Oberfläche aufstellte – wobei er die gleichen Spekulationen anstellte wie vor ihm die Experten auf Hearth –, schweiften Nessus’ Gedanken ab.
Konnte ein Kolonist überhaupt richtig verstehen, dass die Haartracht den Sozialstatus unter den Bürgern anzeigte? Nessus bezweifelte es. Seine Mähne war ungeschmückt, weil er diesen Brauch für nichts anderes als affektiertes Gehabe
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