Ringwelt 11: Die Flotte der Puppenspieler
hineingetreten waren, hüllte düsteres Halbdunkel sie ein. Mit dem Fuß blieb Kirsten an einer halb vergrabenen Wurzel hängen und wäre beinahe gestürzt; nur Erics rasches Zugreifen konnte es gerade noch verhindern. Er zog eine kleine Taschenlampe hervor.
»Nicht einmal die Konkordanz kann unebenes Gelände völlig abschaffen«, sagte er. »Du könntest einen Hügel hinunterstürzen oder in ein Sinkloch fallen, und das war’s dann.«
Er hatte recht. »Danke«, sagte Kirsten, und sie meinte es ganz ehrlich. Sie hatten noch etliche Meilen vor sich – und die mussten sie möglichst rasch hinter sich bringen.
Was würden sie vorfinden, wenn sie erst einmal eingetroffen waren? Vielleicht das Institut für Menschenforschung, das immer wieder in den Dateien erwähnt wurde, die sie unrechtmäßig von Nessus’ Computer kopiert hatte. Vielleicht ein Heim für wohlhabende Bürger. Vielleicht auch überhaupt nichts. Das Einzige, was sie über die »Position«, des Instituts wussten, war die fünfzehnstellige Stepperscheiben-Kennung – die zudem farblich markiert war, um anzuzeigen, dass der Zugang dorthin nur eingeschränkt möglich war. Und selbst wenn Kirsten Nessus’ Zugangscode gekannt hätte, wurde das Institut doch gewiss kontinuierlich überwacht. Die Stepperscheiben, die in Nikes Ministerium führten, waren zumindest äußerst gut vor der Nutzung durch Unbefugte geschützt.
Aber niemals wären Bürger auf die Idee gekommen, irgendjemand könne zu Fuß dorthin gehen.
Natürlich setzte ein Fußmarsch dorthin voraus, dass man über die räumliche Position des Institutes informiert war. Und dieses entscheidende Detail hatte sich in Nessus’ Unterlagen nirgends finden lassen. In den Büchern, die Kirsten als Souvenir gekauft hatte, wurde das Institut mit keinem Wort erwähnt. Damit blieb nur noch Wunschdenken übrig – und ein Hologramm des Instituts in Nessus’ Archiv. Das Bild zeigte ein freistehendes sechseckiges Gebäude mit Kuppeldach.
Es wurde noch düsterer. Der schwache Lichtschein ihrer Taschenlampen reichte gerade aus, um den Boden halbwegs zu erkennen. Das Prasseln hoch über ihnen, das schon vor einiger Zeit begonnen hatte, wurde lauter und lauter. Die ersten Regentropfen durchdrangen das Blätterdach. Dichtes Unterholz ließ sie nur langsam vorankommen, und auf dem unebenen Untergrund war es nur zu leicht, vom ursprünglich gewünschten Kurs abzukommen.
Kompass oder nicht: Gingen sie überhaupt noch in die richtige Richtung?
In ihrem hellen, warmen Apartment war Kirsten diese Expedition deutlich einfacher erschienen. Auf dem Holo-Bild hingen vier Naturschutzwelten in unterschiedlichen ›Mondphasen‹ hoch über dem Institut. Die Datumskennung, die zu den Metadaten jeder Datei gehörte, verriet auch, wann dieses Bild angefertigt worden war. Doch auch wenn es immensen Rechenaufwand erforderte, war es doch von der Grundidee her recht einfach, daraus die räumliche Position des Instituts auf Hearth herauszufinden. Und die Koordinaten, die sie letztendlich erhalten hatten, verrieten ihnen, dass es sich am Ufer eines Sees befinden musste, tief im Inneren eines der wenigen großen Parks auf Hearth verborgen.
Während sie weiterstapften, sprachen sie über ihre Heimat und ihre Hobbys, über Freunde und Familie. Eric hustete. »Was meinst du, wie weit wir bisher schon gekommen sind?«
»Zwei Meilen, vielleicht auch ein bisschen weiter.«
»Das ist ja weniger als die Hälfte des Weges! Kirsten, das dauert alles zu lange!«
»Ich weiß.« Aber es gab nichts, was sie dagegen hätten tun können. Und jetzt hatten sie sich eindeutig für dieses Vorgehen entschieden. »Ich konnte doch nicht wissen, wie uneben das Gelände hier unter der Laubschicht sein würde. Und daran, dass es regnen könnte, hatte ich nicht gedacht. Und dieser matschige Untergrund macht uns eben langsamer.«
»War doch nicht als Kritik gemeint.« Der Lichtkegel seiner Taschenlampe schwankte unruhig hin und her, als Eric in einer Wolke aufwirbelnden Laubs einen Abhang hinunterrutschte. »Was meinst du wohl, was wir da finden werden?«
»Ich weiß es nicht.« Kirsten schob einen niedrig hängenden Ast beiseite. »Ich hab fast schon Angst davor, es zu erfahren.«
»Menschen«, merkte Eric an. »Sind wir das?«
Sie erreichten die Kuppe eines kleinen Hügels. Der Weg hinab lag tief in Schatten verborgen. »Vielleicht. Vielleicht sind Menschen auch nur eine andere Spezies, mit denen die Bürger irgendwann einmal in Kontakt gekommen
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