Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr
Jochen Hansen und dem ehemaligen Scherben-Drummer Wolfgang Seidel (auf dessen Initiative) im Beatstudio des Berliner Senats unter dem Namen The Coverboys eingespielt hatte, mussten wohl oder übel unveröffentlicht bleiben. Und auch die Vereinbarung mit Lanrue, auf dessen geplantem Solo-Album fünf Songs zu singen, als Gegenleistung dafür, dass der auf Rios erster LP bei fünf Songs Gitarre spielte, wurde so zu Makulatur. Doch das erfuhr der erst viel später.
20 Alles Lüge
Von den CBS-Mitarbeitern wurde Rio Reiser als »herzlich geschätzte Kultfigur« empfangen. Er genoss ein »tierisches Wohlwollen«, erinnert sich sein Product Manager Markus Linde, war aber »unglaublich schüchtern«. Sein Manager George Glueck schirmte ihn total ab und lief immer gleich zum Chef, Jochen Leuschner, wenn etwas nicht so lief, wie er sich das vorstellte. Vielleicht musste Glueck sich ja noch was beweisen, mutmaßt Linde, der nach einem Jahr auf Gluecks Betreiben hin von seiner Zuständigkeit für Rio entbunden worden sein soll. Was er ihm aber nie so richtig übel nahm, auch wenn Rio sich später dafür bei ihm entschuldigt hat.
Glueck hatte eine Vision, ließ seinen nicht mehr ganz jungen Schützling bei Promo-Terminen stets einen Schal tragen und engagierte einen renommierten Düsseldorfer Fotografen, hunderte von Fotos von ihm zu schießen, bis seine Haare richtig fielen.
Rio besaß bei CBS »Top-Priorität«, wie auch der damalige Marketing Director Hubert Wandjo beteuert. »Wir haben ihn geliebt, standen ihm nahe, waren passionierte Fans, und er hat uns auch nie nur als Plattenfirma behandelt.« Für die »family of music« war Rio ein Markenzeichen, das gehegt und gepflegt wurde, auf dessen »kreative Seite« man aber keinen Einfluss hatte, darauf habe Rio stets bestanden.
Anfangs war George Glueck für Rio eine Art väterlicher Freund, dem er mehr als anderen vertraute und von dem er sagte: »Der heißt Glueck, und ich hab Glück.« Später schrieb er sogar im Überschwang einen Reggae-Song über ihn, in dem er sang: »Rat’ mal, wer mich morgens pünktlich weckt, mir immer mal’nen Schein zusteckt, wer das Frühstück macht und ans Bett mir bringt, wer mir immer die neuesten Hits vorsingt … rat’ mal wer – mein Manager.«
Glueck wusste, mit wem er es zu tun hatte, und behandelte ihn dementsprechend respektvoll. Sein Geld verdiente er mit Annette Humpe, Stephan Remmler von Trio und, später, dem Blödel-Duo Die Doofen oder der Leipziger A-capella-Gruppe Die Prinzen. Rio war für ihn ein ganz anderes Kaliber, ein großer Künstler, wie er – das sagt er selbst – nie wieder, nicht davor und nicht danach, einen unter Vertrag hatte, eine Herausforderung, an der er letztlich gescheitert ist.
Rios erstes Album enthielt eine Menge guter Songs, angefangen bei Alles Lüge , einem »kleinen albernen Song mit’nem ganz lustigen Refrain«, den er bereits 1976 für den SPD-Wahlkampf geschrieben hatte und der im Wahlkampf 1986 zum Slogan eines Werbe-Spots der Grünen wurde. Der Text enthielt, wie Ulla Meinecke fand, »derart komische Bilder, die keinem der magengesichtigen Berufskomiker jemals einfallen würden«. Ihr imponierte, dass er die Sprache »von ihrem Dienst als Kommunikationssklave« entlastete: »Die Worte dürfen sich frei bewegen, und gelegentlich stellt er sie auf den Kopf, um zu sehen, was da so aus den Taschen fällt.«
Den nächsten Song, Lass uns das Ding drehn , hatte er ebenfalls schon früher, 1982, geschrieben, für den Film Schwarzfahrer von Manfred Stelzer, er war damals aber nicht verwendet worden. Für die Frauenzeitschrift Emma war es »das schönste Liebeslied des Jahres (mindestens)« und zugleich »die schönste Aufforderung zu strafbaren Handlungen«.
Für immer und dich war eine Ballade, die er mal der Schlagersängerin Marianne Rosenberg ( Er gehört zu mir ) angeboten hatte, die ebenfalls bei George Glueck unter Vertrag stand, die sie aber abgelehnt hatte, weil sie sie »zu sentimental« gefunden habe; später wurde sie in einer englischen Version ( I’ll Do It For You ) von Mother’s Little Helpers zum Titel-Song des Films Das Jahr der ersten Küsse ; eine von Rio gesungene und vom San-Remo-Festival inspirierte italienische Fassung ( Per sempre e te ) erschien hingegen erst nach seinem Tod auf CD. Als dritte Single-Auskopplung schaffte es die feinfühlige Ballade im Januar 1987 immerhin bis auf Platz 48 der Charts.
Junimond hatte er gemeinsam mit Martin Paul geschrieben und war
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