Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr
seinerzeit als Scherben-Demo den Plattenfirmen angeboten worden. Die Teenie-Band Echt coverte den Song später stilecht für die Verfilmung von Benjamin Leberts Erfolgsroman Crazy , landete damit im Juli 2000 auf Platz 12 der Charts und wurde von ihrer Kollegin Sabrina Setlur dafür gelobt: »Es geht mir unter die Haut. Es ist einfach ein supergeiles Lied. Und Kim bringt es auch sehr schön rüber.«
Der Kracher auf Rio I. war jedoch ein Song, der eigentlich nur als Ersatz mitangeboten worden war – König von Deutschland . Aber das ist eine andere Geschichte.
Auf dem Cover, das Thomas Fehlmann entwarf, der zuvor bei Palais Schaumburg gespielt hatte und später The Orb produzieren sollte, ist, wenn man genau hinguckt, hinter der Krone der Schatten eines gestreckten Mittelfingers zu erkennen. Er gehört dem A&R-Manager Fitz Braum, der Glueck »ein Jahr lang penetriert« hatte, um Rio unter Vertrag zu nehmen (worauf er noch heute »extrem stolz« ist) – Rios Finger war optisch zu dünn gewesen.
Sein erstes Solo-Album war ein Kompromiss an den Sound der Zeit, und man hörte ihm deutlich an, dass der Spliff-Chefmixer Udo Arndt seine Finger im Spiel hatte. Endlich verstand man klar und deutlich, was Rio sang, andererseits war bei dieser Glättung aber auch etwas von dem Herzblut auf der Strecke geblieben, das seinen Gesang bis dahin geprägt hatte. Als er von der Alternativzeitung Bowle Abstrakt am Vorabend seiner großen Deutschland-Tournee gefragt wurde, ob »die neue Stilrichtung« entstanden sei, »um Geld zu machen«, antwortete er geduldig: »Das hat nichts mit Geld zu tun, die Lieder wären auch bei Ton Steine Scherben so geworden. Zum Teil sind sie ja noch aus der Scherben-Zeit. Dass die Musik poppiger ist, liegt daran, dass andere Musiker spielen, dass das Studio besser war als früher, dass die Sounds sauberer und glatter werden, leichter konsumierbar.« Doch nicht nur der Sound der Udo-Arndt-Crew um Peter Weihe, der auch bei Modern Talkings Brother Louie Gitarre gespielt hatte, enttäuschte die alten Fans, weil er so gefällig und so weit weg war von ihrem Musikgeschmack. Auch die politischen Texte »des einstigen Anarcho-Rockers« hatten laut Spiegel eine »andere Färbung« bekommen: »Waren es früher eher rüde, dogmatische Kampfparolen, so versteht er sich heute auf feine, aber stets beißende Ironie.« Die Ansicht, dass »es ihm in den Siebzigern nicht im Traum eingefallen« wäre, Liebeslieder wie Junimond oder Für immer und dich ins Repertoire aufzunehmen, zeigte jedoch, dass der Spiegel -Kritiker sich in seinem Werk nicht allzu gut auskannte. Denn was war ein Song wie Komm schlaf bei mir , wenn nicht ein Liebeslied?
Mit dem Vorwurf, die Bewegung oder Basis verraten zu haben, lebte er seit der ersten Scherben-Platte. Die Leute, die heute »Verräter« riefen, hätten schon immer »gemeckert« und würden auch immer wieder, »genauso wie Scherben-Fans«, nachwachsen. Es treffe ihn zwar immer noch, aber es sei eben auch nichts Neues: »Was auch immer man macht, irgendjemand findet det immer falsch.«
Im Musikexpress beklagte er sich über das Image des singenden Politikers, das ihm anhafte, und bestand darauf, »eigentlich« Musiker zu sein, allerdings einer, der »nicht doof« sei: »Mozart ist auch Pop für mich. Sogar manche Sachen von den (Einstürzenden) Neubauten finde ich poppig. Ich steh’ auf plakative Sachen, auf Rhythmus, und bin für alle Zufälle offen und zu jeder Schandtat bereit. Rezepte überlege ich mir vorher nicht.«
Waren die Scherben früher so ziemlich die Einzigen gewesen, die mit ihren Songs auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam machten, gebe es heute genug Leute, »die sofort jedes Thema aufgreifen«, rechtfertigte er sich im Schädelspalter , so dass es nur eine Frage der Zeit sei, ob man der Erste sei, der über Tschernobyl singe, oder der Dritte oder Vierte. »Ich überlege mir, wie ich das, woran ich glaube, anders erreichen kann, wie ich mich selbst anders einbringe.« Natürlich wolle er noch immer die Gesellschaft verändern, »mit so großen Worten oder Aufforderungen« sei er aber vorsichtiger geworden: »Wenn ich nur mich verändere – wär’ ja auch schon was.«
Ganz harmlos war er allerdings nicht geworden. Kommerziell – das schon, schließlich musste er auch seinen Teil des Schuldenbergs abtragen, den die Scherben aufgehäuft hatten -, aber »nie süßlichranzig«. Und mitunter auch immer noch anstößig. So warf der Bundesverband junger
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