Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr
Immer tönt freilich auch die Reiser-eigene Müdigkeit durch: eine sehr deutsche Mischung aus Ironie und Weltschmerz, mit einem dicken Schuss Pathos darin.«
Aus der Diskussion, ob man friedlich gegen den Bau der Wiederaufbereitungsanlage demonstrieren oder die Festivalbesucher auffordern solle, das Gelände zu besetzen, hielt er sich wohlweislich heraus: »Da wird von den Künstlern erwartet, dass sie auf die Bühne gehen und sagen: ›Leute, geht nicht zum Bauzaun. Lasst uns das ramponierte Image der Anti-AKW-Bewegung aufpolieren.‹ Die andere Fraktion erwartet, dass der Künstler sagt: ›Los, wir gehen jetzt zum Bauzaun!‹ – Welch ein Irrsinn! Ich kann das nicht verantworten, in dem Augenblick irgendwas in der einen oder anderen Richtung zu sagen.«
Als »exquisite Unverschämtheit« empfand er jedoch die Statements der bayerischen Landesregierung: »Sonst lache ich über solche Sachen, aber jetzt stehen mir die Haare zu Berge. Wenn ich Strauß höre, kann ich nicht mehr lachen. Dann wird mir körperlich schlecht.« Das war politisch korrekt, zugleich räumte er jedoch ein, auf solchen Festivals dem Image zuliebe aufzutreten, und machte sich keinerlei Illusionen: »Das ist doch klar, es wird auch ein Geschäft, selbst wenn tatsächlich das ganze Geld korrekt gespendet wird.« Der Kapitalismus verkaufe eben auch noch seinen eigenen Strick. – Er sollte Recht behalten. Das Wackersdorf-Festival warf so gut wie nichts für die lokale Anti-AKW-Bewegung ab.
Jochen Hansen und Sievert Johannsen von den Strichern hatten nicht damit gerechnet, mit ihm auch live aufzutreten. Die Songs seines ersten Solo-Albums waren für sie »Schlagerkram«, aber weil sie ihm sehr nahe standen, hatten sie ihn bei den Playback-Auftritten eben unterstützt. Als Rio sie dann aber anrief und sie bat, sich für den Herbst nichts vorzunehmen, ging ihnen ganz schön die Muffe. Bis dahin hatten sie nur lustig drauflosgeschrammt, jetzt musste es aber auch live »knacken«.
Mit Toni Nissl, der bereits bei den Neonbabies und Marius Müller-Westernhagen Schlagzeug gespielt hatte, den Scherben Lanrue und Martin Paul und den Strichern Jochen und Sievert ging Rio im Herbst 1986 auf Tour. Zu den Konzerten strömten nicht mehr nur Alt-Freaks, Hausbesetzer und Punks, sondern auch »ganz normale Leute«, die Rio nicht von den Scherben, sondern aus dem Fernsehen kannten. Die Hallen waren meistens ausverkauft, so dass die Tour wegen der großen Nachfrage bis in den Dezember hinein verlängert werden musste.
Da sein Solo-Repertoire noch nicht allzu groß war, griff er auf alte Scherben-Songs wie Halt dich an deiner Liebe fest , Jenseits von Eden oder Lass uns’n Wunder sein zurück, die sich als wahre Dauerbrenner entpuppten.
Rio fühlte sich sichtlich wohl auf dieser Tour, doch der Druck, der auf ihm lastete, »war natürlich nicht ohne«. Angespornt von George Glueck und CBS drängte er in die erste Liga, als aber die Dortmunder Westfalenhalle nicht restlos gefüllt wurde, gab es lange Gesichter. Auf Festivals trat die Rio-Reiser-Band neben Acts wie der Gruftie-Band The Mission auf, was natürlich nicht funktionierte. Und manchmal gaben Fans und Medien auch offen zu, dass es ihnen lieber wäre, wenn er nicht so groß und berühmt würde wie Peter Maffay oder Herbert Grönemeyer und sie »ihren« Rio für sich behalten könnten. Doch den Gefallen wollte er ihnen nicht tun. Er zielte auf die Zwölf, »und Erfolg ist, wenn ich die Zwölf treffe«, orakelte er im November 1987 in der Fachzeitschrift Audio . »Wenn ich schon in diesem blöden Business bin, will ich auch Erfolg haben. Ich gehe nicht zu einer großen Plattenfirma und versuche dann, Avantgarde zu machen.«
Rio am Piano
22 König von Deutschland
Als Ton Steine Scherben 1974 in einer Krise steckten, interviewten sie sich gegenseitig. Eine der Fragen, die sie einander stellten, lautete: »Was würdest du als Erstes machen, wenn du König von Deutschland wärst?« Nikel Pallat wollte die Bundeswehr auflösen, Britta Neander alle Fernsehsender und Zeitungsverlage kaputtschlagen, Jako die Ausbeutung abschaffen, Schlotterer alle Gefängnisse einreißen, Rio »alle Tötungsmaschinen verbieten«, und Funky wollte überlegen, ob er das überhaupt verantworten könne, König von Deutschland zu sein.
Aus diesem Fragespiel entstand noch im selben Jahr der Song, damals noch mit einem anderen Text, der zehn Jahre später als dritte Single aus Rios erstem Solo-Album ausgekoppelt wurde, am 9. Juni
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