Ripley Under Ground
einfach jetzt auf ihn zugehen sollte, wenn er ihn auf der Straße traf? Er wartete ein paar Minuten auf dem Gehweg gegenüber dem Mozart-Museum, und als Bernard nicht kam, ging er weiter in Richtung auf Bernards Pension. Auf dem Weg fand er ihn nicht, doch als er in die Linzer Gasse kam, sah er ihn mit schnellen Schritten auf der Seite der Pension dahingehen und dann das Haus betreten. Fast eine halbe Stunde blieb Tom draußen und wartete, dann hatte er genug: offenbar wollte Bernard zunächst nicht wieder ausgehen. Oder vielleicht war Tom jetzt einfach bereit, es zu riskieren, daß Bernard fortging – er wußte es selber nicht. Er brauchte einen Kaffee und ging in ein Hotel mit einer kleinen Kaffeebar. Hier kam er zu einem Entschluß: als er hinaustrat, ging er geradenwegs zurück zu Bernards Pension. Er wollte den Empfang darum bitten, Mr. Tufts Bescheid zu sagen, daß Tom Ripley unten warte und ihn gern sprechen wollte. Aber er brachte es nicht fertig, durch die etwas schäbige Haustür einzutreten. Er hatte einen Fuß auf der Schwelle und trat dann wieder zurück. Einen Augenblick war ihm schwindlig – Unentschlossenheit, sonst gar nichts, sagte er sich. Er ging zurück zu seinem Hotel auf der anderen Salzachseite, betrat die freundliche Halle im Goldenen Hirsch, wo ihm der graugrün uniformierte Portier sogleich seinen Zimmerschlüssel reichte; dann nahm er den Fahrstuhl, fuhr in den dritten Stock und ging in sein Zimmer. Er zog den gräßlichen Regenmantel aus und leerte die Taschen: Zigaretten, Streichhölzer, österreichische und französische Münzen. Er sortierte das Geld und steckte die französischen Geldstücke in eine Tasche des Koffers. Dann zog er sich aus und fiel ins Bett. Er hatte nicht gewußt, wie müde er war.
Als er erwachte, war es kurz nach zwei Uhr, und die Sonne schien hell. Er stand auf und ging hinaus. Jetzt suchte er nicht nach Bernard; er schlenderte einfach durch die Stadt wie ein Tourist – nein, eigentlich nicht wie ein Tourist, denn der Spaziergang hatte weder Zweck noch Ziel. Was wollte Bernard hier in Salzburg? Wie lange wollte er bleiben? Tom war jetzt hellwach, nur wußte er nicht, was er unternehmen sollte. Ob er einfach zu Bernard ging und ihm sagte, Cynthia wollte ihn gern sehen? Sollte er mit Bernard reden und ihn zu überzeugen versuchen – aber wovon denn bloß?
Nachmittags zwischen vier und fünf wurde Tom von einer Depression übermannt. Er hatte irgendwo Kaffee und einen Steinhäger getrunken, und nun ging er flußaufwärts an der Salzach entlang, hatte die Hohensalzburg hinter sich gelassen und war noch auf der Uferseite mit dem älteren Teil der Stadt. Er dachte daran, wie sehr sich Jeff, Ed und jetzt auch Bernard verändert hatten seit dem Beginn des Derwatt-Schwindels. Und Cynthia war unglücklich geworden, ihr Lebensweg hatte eine ganz andere Richtung genommen wegen der Sache mit Derwatt Ltd., und das erschien Tom viel wichtiger als das Geschick der drei Männer. Cynthia wäre jetzt längst mit Bernard verheiratet und hätte vielleicht schon ein oder zwei Kinder; allerdings wäre ja Bernard genauso in die Sache verwickelt, und Tom wußte daher selber nicht, warum die Veränderung in Cynthias Leben ihm so viel bedeutsamer erschien als der Wandel in Bernards Leben. Nur Jeff und Ed waren wohl und munter, sie hatten reichlich Geld, und ihr Leben hatte sich – jedenfalls äußerlich – verbessert. Bernard sah erschöpft aus, und er war erst drei- oder vierunddreißig.
Tom hatte vorgehabt, im Restaurant seines Hotels, das als das beste in Salzburg galt, zu Abend zu essen; aber als es so weit war, hatte er keine Lust auf großes Essen und gepflegte Umgebung. Er spazierte langsam die Getreidegasse hinauf, über den Bürgerspitalplatz (die Namen las er auf den Straßenschildern) und durch das Gstättentor, einen alten schmalen Torweg, knapp breit genug für Einbahnverkehr; es war eins der alten Stadttore von Salzburg am Fuße des Mönchsbergs, der sich dunkel daneben erhob. Die Straße dahinter war fast ebenso schmal und ziemlich dunkel. Irgendwo würde er schon ein kleines Lokal finden, dachte Tom. An zwei Eingangstüren boten die Speisekarten fast das gleiche Menü an: Tagessuppe, Wiener Schnitzel mit Kartoffeln und Salat, Nachtisch, alles für sechsundzwanzig Schilling. Er betrat das zweite Lokal – es hieß Café Eigler oder so ähnlich –, vor dem draußen ein kleines laternenartiges Schild hing.
Zwei Negerkellnerinnen mit roten Jacken saßen mit ein paar
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