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Ripley Under Ground

Ripley Under Ground

Titel: Ripley Under Ground Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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männlichen Gästen an einem Tisch. Die Musikbox plärrte, die Beleuchtung war gedämpft. War das ein Bordell, ein Animierlokal oder einfach ein billiges Restaurant? Tom hatte einen Schritt in das Café getan, als er Bernard erblickte, der allein in einer Nische saß und sich über seinen Suppenteller beugte. Tom zögerte. Bernard blickte auf und sah ihn an.
Tom sah jetzt wie er selbst aus, mit Tweedjackett und einem Schal um den Hals wegen der Abendkälte – es war der Schal, aus dem Heloise in dem Pariser Hotel die Blutflecke herausgewaschen hatte. Tom war im Begriff näherzutreten, die Hand auszustrecken und zu lächeln, als Bernard sich halb erhob. Der Schrecken stand ihm im Gesicht.
Die beiden untersetzten farbigen Kellnerinnen blickten von Bernard zu Tom. Eine erhob sich mit afrikanischer Langsamkeit, so schien es Tom; sie wollte offenbar zu Bernard hinübergehen und ihn wohl fragen, ob ihm etwas fehle, denn er sah aus, als habe er etwas verschluckt, an dem er ersticken werde.
Bernard winkte eilig und ablehnend mit der Hand. Galt das Tom oder der Kellnerin?
Tom wandte sich um, trat durch die innere Tür des Windfangs und dann durch die äußere Tür nach draußen. Er schob die Hände in die Taschen und senkte den Kopf – ähnlich wie Bernard –, als er durch das Gstättentor auf den heller erleuchteten Teil der Stadt zuging. Hatte er sich falsch verhalten? Hätte er einfach auf ihn zutreten sollen? Aber er hatte das Gefühl gehabt, dann werde Bernard einen hellen Schrei ausstoßen.
Tom ging an seinem Hotel vorbei und weiter bis zur nächsten Ecke; dort bog er nach rechts ein. Das Tomaselli lag nur wenige Meter weiter. Wenn Bernard ihm folgte – Tom war ganz sicher, daß Bernard in dem Restaurant nicht länger bleiben wollte –, wenn also Bernard sich hier zu ihm gesellen wollte: sehr schön. Aber Tom wußte, so war es nicht. Bernard war überzeugt, er habe eine Vision gesehen, das war es. Tom setzte sich also deutlich in der Mitte des Lokals an einen Tisch, bestellte ein Butterbrot und eine Karaffe Weißwein und las ein paar Zeitungen.
Bernard erschien nicht.
Über der großen Türöffnung aus Holz hing eine geschwungene Messingstange mit grünem Vorhang, und jedesmal, wenn sich der Vorhang bewegte, blickte Tom auf, doch der Eintretende war niemals Bernard.
Wenn Bernard jetzt hereinkam und auf ihn zutrat, dann tat er das, um sich zu überzeugen, daß Tom wirklich und wahrhaftig am Leben war. Das war ganz logisch. (Das Dumme war bloß: Bernard tat gar nichts Logisches.) Tom würde dann sagen: »Nimm Platz und trink ein Glas Wein mit mir. Ich bin kein Geist, das siehst du doch. Ich habe mit Cynthia gesprochen. Sie möchte dich gern wiedersehen.« Herausziehen – er mußte Bernard aus der Angst herausziehen.
Aber er würde es sicher nicht können.
23
    Am nächsten Tag, Dienstag, hatte Tom einen weiteren Entschluß gefaßt: er wollte Bernard unter allen Umständen sprechen, selbst wenn er jetzt wirklich energisch werden mußte. Er wollte ihn auch zu überreden versuchen, daß er nach London zurückfuhr; dort mußte er doch noch Freunde haben außer Jeff und Ed, denen er jetzt wahrscheinlich aus dem Weg gehen würde. Lebte nicht seine Mutter dort? Das wußte Tom nicht sicher. Aber er hatte das Gefühl, irgend etwas unternehmen zu müssen; es war schrecklich, wie bejammernswert Bernard aussah. Jedesmal, wenn er ihn sah, durchfuhr Tom ein merkwürdiger Stich: es war, als erblicke er jemanden, der nicht mehr unter den Lebenden weilte, aber noch hier im Diesseits herumging.
    Um elf Uhr vormittags machte sich Tom also auf den Weg zum Blauen Soundso. Eine dunkelhaarige, etwa fünfzigjährige Frau saß unten am Empfang. »Entschuldigen Sie, wohnt hier wohl ein Herr Bernard Tufts bei Ihnen – ein Engländer?« fragte er auf Deutsch.
    Die Augen der Frau weiteten sich. »Ja, aber er ist schon abgereist. Vor einer Stunde ungefähr.«
»Hat er gesagt, wohin er fahren wollte?«
Nein, das hatte er nicht. Tom bedankte sich und merkte, wie sie ihm nachsah, als er das Hotel verließ. Als ob er ebenso merkwürdig sei wie Bernard, bloß weil er ihn kannte.
Er nahm ein Taxi zum Bahnhof. Flugverbindungen gab es wahrscheinlich nicht viele auf dem kleinen Salzburger Flughafen, und außerdem war die Eisenbahn billiger. Am Bahnhof war Bernard nicht. Tom suchte auf den Bahnsteigen und am Buffet; dann ging er zurück zum Flußufer und ins Stadtzentrum und sah sich überall nach Bernard um, nach einem Mann in schlaffem Regenmantel,

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