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Ripley Under Ground

Ripley Under Ground

Titel: Ripley Under Ground Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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denn in den nächsten Minuten erschien er nicht, und seine Reisetasche hatte er auch nicht bei sich gehabt. Tom entschloß sich zu warten, was sehr langweilig war; es gab kein Café in der Nähe, von dem aus er den Eingang hätte im Auge behalten können. Er mußte sich ja auch verborgen halten für den Fall, daß Bernard irgendwo vorne aus einem Fenster blickte und ihn dann sah. Aber Leute, die aussahen wie Bernard, bekamen im Hotel so gut wie nie ein Vorderzimmer. Immerhin, Tom versteckte sich und mußte in seinem Versteck bis fast elf Uhr warten. Dann trat Bernard aus der Tür, frisch rasiert, und wandte sich sofort nach rechts, als strebe er auf ein Ziel zu.
Vorsichtig folgte ihm Tom und zündete sich eine Gauloise an. Wieder ging es über die große Brücke; dann durch die Straße, die Tom gestern abend überquert hatte, und dann in die Getreidegasse. Flüchtig sah Tom das schmale gutgeschnittene Profil, den festen Mund und eine kleine Einbuchtung, die einen Schatten auf die olivfarbene Wange warf. Die wildledernen Stiefel waren ziemlich hinüber. Bernard trat ins Mozart-Museum: Eintritt zwölf Schilling. Tom zog den Kragen des Regenmantels hoch und trat ebenfalls ein.
Der Eintritt wurde in einem Raum oben an der ersten Treppe bezahlt. Glaskästen mit Manuskripten und Opernprogrammen hingen an den Wänden. Tom warf einen Blick in das große Vorderzimmer. Bernard war nicht da, und Tom nahm an, er sei ins nächste Stockwerk hinaufgestiegen, wo sich, wie er wußte, die Wohnräume der Familie Mozart befanden. Er stieg die zweite Treppe hinauf.
Bernard stand vor Mozarts Clavichord und beugte sich über die Tasten, die durch eine Glasscheibe vor dem Berühren geschützt waren. Wie oft er das wohl schon betrachtet hatte –?
Im ganzen befanden sich nur fünf oder sechs Besucher im Museum oder jedenfalls auf diesem Stockwerk; Tom mußte sich also in acht nehmen. Einmal trat er einen Schritt zurück hinter eine Türfüllung, damit ihn Bernard nicht sah, wenn er in seine Richtung blickte. Es war ihm klar: er wollte Bernard beobachten, um zu sehen, in welcher Verfassung er sich befand. Oder – Tom wollte ganz ehrlich sein – war es vielleicht doch nur belustigte Neugier, weil er eine Weile jemanden beobachten konnte, den er ein wenig kannte, der eine Krise durchmachte und der nicht ahnte, daß er da war? Bernard trottete jetzt langsam in eins der Vorderzimmer auf demselben Stockwerk.
Schließlich folgte Tom ihm die letzte Treppe hinauf nach oben. Noch mehr Glaskästen. (In dem Zimmer mit dem Clavichord war eine Stelle gewesen, eine bezeichnete Ecke, wo einst Mozarts Wiege gestanden hatte, aber jetzt war sie nicht mehr da. Eigentlich schade, daß sie nicht wenigstens eine andere Wiege hingestellt hatten.) Die Treppe hatte ein schmales Eisengeländer. In einigen Ecken gab es Erkerfenster, und Tom, wie immer tief beeindruckt von Mozart, überlegte, welche Aussicht wohl die Familie Mozart von ihren Fenstern gehabt hatte. Doch sicher nicht den Giebel des Nachbarhauses, der nur anderthalb Meter entfernt war. Die Miniaturen der Bühnenbilder – Idomeneo und immer wieder Idomeneo, dann Così fan tutte – waren langweilig und ungeschickt hergestellt, doch Bernard sah sich alles mit großen Augen an.
Unerwartet wandte er plötzlich den Kopf in Toms Richtung. Tom blieb in der Tür stehen. Sie starrten einander an. Dann trat Tom einen Schritt zurück und nach rechts; er stand jetzt hinter einer Türfüllung in einem anderen Zimmer, das nach vorne hinausging. Er holte tief Luft. Das war ein komischer Moment gewesen, eben. Bernards Gesicht – Tom wagte nicht, weiter zu denken; er ging sofort die Treppe hinunter. Ihm war nicht wohl zumute, auch unten nicht, bis er draußen war und in der geschäftigen Getreidegasse stand. Er bog in die kleine Straße ein, die zum Flusse führte. Ob Bernard versuchen würde, ihm zu folgen? Er zog den Kopf ein und schritt schneller aus.
Der Ausdruck auf Bernards Gesicht war Unglauben gewesen und nach dem Bruchteil einer Sekunde auch Angst – als habe er einen Geist gesehen.
Und das, überlegte Tom, war ja auch genau das, was Bernard zu sehen vermeint hatte: einen Geist. Den Geist von Tom Ripley, dem Manne, den er umgebracht hatte.
Plötzlich wandte Tom sich um und ging ein paar Schritte zurück, in Richtung auf das Mozart-Museum; ihm war eingefallen, daß Bernard vielleicht die Stadt verlassen wollte, und das wollte Tom nicht geschehen lassen, solange er nicht wußte, wohin Bernard sich wandte. Ob er

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