Ripley Under Water
anstrebt? Patricia Highsmith, man muß es so nennen, sortiert schon ihre Sachen. Sie berät sich mit Steueranwälten und trifft Verfügungen für die Zeit danach. Manches von dieser eigenartigen Stimmung färbt auf den Mittdreißiger Tom Ripley ab, dessen Haar paradoxerweise noch genauso dunkelblond ist, wie wir es aus dem dritten und vierten Roman in Erinnerung haben. Die verrinnende Zeit zernagt ihn von innen, nicht von außen.
Bei einem Vortragsabend 1987 in Lleida (Katalonien) wird Patricia Highsmith gefragt, ob ihre Leser mit einem fünften Ripley-Band rechnen könnten. Die Schriftstellerin bejaht. Sie weiß, was sie ihrer charismatischen Figur zu verdanken hat. Wenige Monate zuvor, am 26. Dezember 1986, hat sie im Notizbuch Nummer 36 festgehalten: »Mögliche Ripley-Idee. Eine ›Serie‹ von Morden. Möglicherweise Kunsthändler, Mittelsmänner, gar ein Kunstsammler wie Getty. Einer, zwei, drei (vier?). Nummer 2 hat ein Motiv, Nummer 1 aus dem Weg zu räumen. Nummer 1 wird getötet (vielleicht von Tom oder Toms willfährigem Diener). Hat Nummer 2 es getan oder jemanden gedungen? Oder hat Nummer 2 Selbstmord begangen?«
Mit Sicherheit muß es heißen: »Hat Nummer 1 Selbstmord begangen?«. Doch das ist am Ende gleichgültig, denn die knappe Skizze hat mit dem Roman Ripley Under Water kaum etwas zu tun. Sie sinkt auf den stillen Aquariumboden ab, dorthin, wo die unbenutzten schriftstellerischen Einfälle ruhen. Aussagekräftiger ist, daß sich weiter unten auf derselben Notizbuchseite ein zweiter Eintrag zu Ripley findet, der auf den 1. Januar 1988 datiert ist, also mehr als ein ganzes Jahr später. Dort stehen, unterstrichen, die Worte: »Ripley Touches Madness« (»Ripley streift den Wahnsinn«). Es klingt wie ein Romantitel. Auf wenigen Zeilen ist von dem »Riß« die Rede, der Toms wohlgeordnetes häusliches Leben von seinen verbrecherischen Aktivitäten trennt. Einer seiner Freunde aus der Londoner Buckmaster Gallery, so heißt es, sei durchgedreht und habe Tom damit angesteckt, der nun seinerseits den Realitätssinn verliere. »Eine lustige Szene könnte folgen, in der einer den anderen zu beruhigen versucht. Wenn London, dann hängt die Sache mit Derwatt-Fälschungen zusammen [dem Thema des Bandes Ripley’s Game ], sie müßte aber eine neue Richtung bekommen.«
Doch die Autorin geht nicht sofort ans Werk. Immerhin, die Ripley-Idee setzt sich fest. Sie wird lange Zeit hindurch bewahrt und sättigt sich möglicherweise mit den Erlebnissen der Autorin, die in diesen Jahren eine irritierende Erfahrung macht: Während von außen Ehrungen und benefits auf sie herabregnen, während sie reist, Hände schüttelt und Bücher signiert, zerbröckelt inwendig die Substanz ihrer Welt. Offenbar hat Patricia Highsmith wenig Lust, die Einzelheiten dieses Vorgangs genau zu dokumentieren. Von ihren siebzehn Tagebüchern (diaries), den intimen Selbstgesprächen, die uns über die jungen Jahre der Schriftstellerin ausführliche Reflexionen und seitenlange Schilderungen von Reisen, Orten und Personen liefern, sind die beiden letzten von allergrößter Kargheit, durchsetzt mit Katzen-Zeichnungen und langen Perioden des Schweigens.
Tagebuch Nummer 17 zum Beispiel enthält zum Jahr 1981 nur drei kleine Seiten. Danach folgt eine Pause von sechs Jahren. Kaum hundert weitere Seiten im Taschenblock-Format decken die Jahre 1987 bis 1992 ab. Man kann sich die Autorin fast physisch dabei vorstellen, wie sie nach einem Berlin-Besuch das Tagebuch aufnimmt und mit zweimonatiger Verspätung einer vagen protokollarischen Pflicht gehorcht. »Hatte vor«, schreibt sie, »das mit Berlin zusammenzufassen: 6.–11. Juli [1987] ungefähr. Meine Lesung war am 8. Juli im Hebbel-Theater, schönes, altes, berühmtes Haus mit zwei Balkonen.« Im Stenogrammstil folgen weitere Einzelheiten. Daß Wim Wenders den Abend nicht moderieren konnte, weil sein Vater plötzlich erkrankt sei. Daß niemand die neue Moderatorin mochte. Und wie sie Anthony Burgess kennenlernt: »A.B. sehr freundlich, und ich habe mich gefreut, ihn kennenzulernen.« (Tagebuch vom 13. September 1987)
Beim Blättern in diesen Seiten fallen die spätherbstliche Stimmung und einige Leitmotive ins Auge. Der Tod von Freunden und Weggefährten wird vermerkt, dazu das Ableben berühmter Zeitgenossen wie Graham Greene (mit dem sie eine respektvolle Brieffreundschaft verband), Max Frisch und Marlene Dietrich. Nicht viel ausführlicher als ihr Treffen mit Anthony Burgess
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