Ripley Under Water
Augenschein genommen, wo bald Jeff schlafen würde, und eine rote Rose in das hohe schlanke Rohr einer Vase auf dem Ankleidetisch gesteckt – brachen Tom und Ed auf nach Roissy. Zum Mittagessen wären sie zurück, sagte Tom zu Madame Annette; kurz nach eins, wenn alles gutging.
Tom hatte Murchisons Ring aus dem schwarzen Wollstrumpf in seiner Sockenschublade genommen. Jetzt steckte er in seiner linken Hosentasche. »Fahren wir über Moret. Die Brücke ist so hübsch, außerdem liegt der Ort fast auf dem Weg.«
»In Ordnung«, meinte Ed. »Schön.«
Auch das Wetter war schön. Am frühen Morgen hatte es geregnet, wohl so gegen sechs – genau die Erfrischung, die Garten und Rasen gebraucht hatten; somit konnte sich Tom das Sprengen an diesem Tag sparen.
Die Türme der Brücke von Moret kamen in Sicht, gedrungene Aufbauten an beiden Enden in bräunlichem, ehrwürdigem Altrosa, die Schutz verhießen.
»Sehen wir zu, daß wir irgendwie ans Wasser herankommen«, sagte Tom. »Die Brücke ist zweispurig, aber die Turmdurchfahrten sind schmaler – manchmal muß man den Gegenverkehr abwarten.«
Die Torbögen der beiden Türme waren gerade breit genug für ein Auto. Tom mußte nur kurz warten, um ein paar entgegenkommende Wagen durchzulassen, dann überquerten sie den Loing. Tom wollte den Ring unbedingt hier ins Wasser werfen, konnte aber unmöglich anhalten. Hinter dem zweiten Turm bog er sofort links ab und hielt trotz der gelben Linie rechts am Straßenrand.
»Gehen wir zur Brücke zurück, wenigstens für einen kurzen Blick«, sagte er.
Sie betraten die Brücke, Tom hatte die Hände in den Hosentaschen, die Linke fest um den Ring geschlossen. Er zog die Hand aus der Tasche und ballte sie zur Faust.
»Ein Großteil der Gebäude hier stammt aus dem sechzehnten Jahrhundert«, sagte er. »Und bei seiner Rückkehr von Elba hat Napoleon in einem der Häuser übernachtet. Ich glaube, eine Plakette erinnert dort daran.« Tom legte die Hände ineinander und nahm den Ring in die Rechte.
Ed sagte nichts, er schien alles in sich aufzusaugen. Als zwei Wagen hinter ihm vorbeifuhren, trat Tom näher an das Brückengeländer. Ein paar Meter unter ihm floß der Loing, tief genug, so schien es ihm.
»Monsieur!«
Verblüfft fuhr Tom herum: ein Polizist, dunkelblaue Hose, hellblaues, kurzärmeliges Hemd, Sonnenbrille.
»Oui?« sagte Tom.
»Gehört Ihnen der weiße Kombi dort –«
»Oui.«
»Er steht im Parkverbot.«
» Ah oui. Excusez-moi! Wir fahren gleich weiter. Vielen Dank, Herr Wachtmeister!«
Der Polizist grüßte, die Hand am Käppi, und ging. An der Hüfte baumelte seine Pistole in ihrem weißen Halfter.
»Hat er dich erkannt?«
»Weiß ich nicht. Kann sein. Nett, daß er mir keinen Strafzettel aufbrummt.« Tom lächelte. »Jedenfalls glaube ich nicht, daß er das tun wird. Gehen wir.«
Tom holte aus und warf den Ring ins Wasser. Er hatte auf die Mitte des Flusses gezielt, der dieser Tage wenig Wasser führte; der Ring versank nur knapp daneben. Tom war zufrieden. Ein dünnes Lächeln für Ed, dann gingen sie zurück zum Wagen.
Ed hätte auch denken können, er habe einen Stein geworfen, dachte Tom. Und das war gut so.
Anhang
Nachwort
Es kann für Patricia Highsmith keine leichte Aufgabe gewesen sein, einen fünften Ripley-Roman zu schreiben. In den siebziger Jahren war ihr Gentleman-Mörder zum Markenzeichen der Suspense-Literatur geworden, und die Verfilmungen von Hitchcock, René Clément, Wim Wenders oder Claude Chabrol gaben seinem Ruhm internationales Flair. Mit dem mehrfach preisgekrönten Roman Der talentierte Mr. Ripley hatte die Autorin ihn 1955 in die Welt hinausgeschickt. Dann, mit Ripley Under Ground (1970), öffnet sich das Panorama in Richtung London, wo die Buckmaster Gallery mit einem längst verstorbenen Maler ihr betrügerisches Geschäft betreibt. Nur vier Jahre später, in Ripley’s Game, halten Krankheit und düstere Sterbephantasien Einzug in Toms heiter-zynisches Universum. Entdeckt der weltgewandte Verbrecher schon hier seine fürsorgliche Seite, muß er in Der Junge, der Ripley folgte (1980) angesichts des Selbstmords eines jungen Freundes seine völlige Machtlosigkeit erkennen. Im dritten und vierten Roman ermordet er nur noch gesichtslose Mafiosi, kein Vergleich zu den intimen Tötungsprozeduren der ersten beiden Bände, die etwas von freundschaftlichen Umarmungen haben. Aber selbst darauf kommt es nicht an. Bei Licht betrachtet, will Tom jetzt gar nicht mehr töten. Er hat
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