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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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fragte er im Flur. »Hoffentlich besser?« Er hatte hinzufügen wollen, er hoffe, Jonathan werde am Abend zu Hause sein, fürchtete aber, Simone könne denken, er wolle ihn noch einmal benutzen.
    »Ich glaube, es geht ihm gut – jedenfalls besser. Guten Tag, Mr.   Ripley.«
    »Auf Wiedersehen, und vielen Dank«, erwiderte Tom. » Au revoir, Georges.« Er strich dem Jungen übers Haar. Georges lächelte ihn an.
    Tom ging zu seinem Wagen. Gauthier: ein vertrautes Gesicht, ein Mann aus seiner Nachbarschaft. Für immer fort. Es kränkte ihn, daß Simone dachte, er habe etwas mit seinem Tod zu tun, habe ihn sogar arrangiert, auch wenn Jonathan ihm schon vor Tagen gesagt hatte, Simone glaube das. Herrgott, was für ein Schandfleck! Na ja, unbefleckt war er nicht gerade, zugegeben. Schlimmer noch, er hatte Menschen getötet, das stimmte. Dickie Greenleaf, das war die Schande, das wahre Verbrechen. Das heiße Blut der Jugend. Ach Quatsch! Gier war es gewesen, Eifersucht, Neid auf Dickie. Und wegen seines Todes, besser gesagt, seiner Ermordung, hatte er dann natürlich diesen amerikanischen Dreckskerl Freddie Miles umbringen müssen. Alles lange her. Aber er hatte es getan, ja. Die Polizei hatte ihn eine Zeitlang verdächtigt. Nur hatte sie ihm damals nichts nachweisen können. Die Geschichte war an die Öffentlichkeit gedrungen und in ihr Gedächtnis gesickert wie Tinte in ein Löschblatt. Tom schämte sich dafür. Eine Jugendsünde, ein furchtbarer Fehler. Ein tödlicher Fehler, mochte man meinen, hätte er nicht danach unglaublich viel Glück gehabt. Er hatte es überlebt, jedenfalls physisch. Und [336]  wenn er seither, nun – jemanden ermordet hatte, Murchison etwa, dann doch mit Sicherheit auch zum Schutze anderer.
    Simone war schockiert (welche Frau wäre das nicht?), weil sie zwei Leichen in Belle Ombre gesehen hatte, als sie gestern abend das Haus betrat. Aber hatte er nicht auch ihren Mann beschützt, nicht nur sich selbst? Hätte die Mafia ihn in die Finger bekommen und gefoltert, wäre er dann nicht mit Jonathan Trevannys Namen und Adresse herausgerückt?
    Dabei fiel ihm Reeves Minot ein. Wie es ihm wohl ging? Er sollte ihn anrufen. Tom stand vor seinem Wagen und starrte stirnrunzelnd auf die Tür. Sie war nicht einmal abgeschlossen, und die Schlüssel hingen, wie üblich bei ihm, am Armaturenbrett.

[337]  22
    Der Knochenmarktest, den ein Arzt am Sonntag nachmittag durchgeführt hatte, ergab nichts Gutes. Sie wollten Jonathan deshalb über Nacht dabehalten und ein Verfahren namens »Vincainestine« anwenden, das auf einen Austausch allen Blutes im Körper hinauslief. Jonathan kannte das schon.
    Kurz nach sieben kam Simone ihn besuchen. Man hatte ihm mitgeteilt, sie habe vorher schon angerufen, aber bei dem Anruf hatte man ihr nicht gesagt, daß er über Nacht dableiben müsse. Simone war überrascht.
    »Dann also morgen.« Mehr wußte sie offenbar nicht zu sagen.
    Jonathans Kopf ruhte erhöht auf zwei Kissen. Er trug ein weites Krankenhaushemd anstelle von Toms Pyjama, und in jedem Arm steckte eine Kanüle. Er war schrecklich weit von Simone entfernt. Oder war das nur sein Gefühl? »Wahrscheinlich morgen früh. Du brauchst mich nicht abzuholen, Liebes, ich nehme ein Taxi. – Wie war dein Tag? Wie geht’s deiner Familie?«
    Simone ignorierte die Fragen. »Dein Freund, Monsieur Ripley, hat mich heute nachmittag besucht.«
    »Ach ja?«
    »Er steckt so voller Lügen, daß man gar nicht weiß, ob [338]  man ihm auch nur irgendwas glauben kann. Wahrscheinlich nicht.« Simone sah sich um, aber da war niemand. In dem Krankensaal von Jonathans Station standen viele Betten. Nicht alle waren belegt, die beiden links und rechts von ihm aber schon. Ein Patient hatte Besuch.
    Sie konnten nicht ungestört reden.
    »Georges wird enttäuscht sein, daß du heute noch nicht kommst.«
    Dann ging sie.
    Als Jonathan am nächsten Morgen gegen zehn nach Hause kam, bügelte Simone gerade die Wäsche des Jungen.
    »Geht es dir gut? Hast du gefrühstückt? Möchtest du Tee? Oder Kaffee?«
    Jonathan ging es besser – nach einer solchen Behandlung ging es einem immer besser, bis die Krankheit wieder angriff und das Blut zerstörte. Er wollte nur baden. Nach dem Bad zog er andere Sachen an, eine alte, hellbraune Cordhose und zwei Pullover übereinander, weil es an diesem Morgen kühl war. Aber vielleicht war er auch nur empfindlicher als sonst. Simone trug ein kurzärmeliges Wollkleid. Der Figaro, die Morgenzeitung, lag einmal

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