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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Frauenstimme, auf französisch. »Wir müssen einen Krankenwagen rufen!«
    »Ich hab ein Auto!« rief ein Mann.
    Tom warf einen Blick auf die Fenster von Jonathans Haus und sah die schwarze Silhouette von Simone, die durch den Vorhangspalt spähte. Sie sollte hier nicht zurückbleiben. Jonathan mußte ins Krankenhaus, und sein Renault konnte schneller dort sein als jeder Krankenwagen. »Reeves, halten Sie die Stellung, ich bin gleich wieder da! – Oui, Madame «, sagte er zu einer Frau – inzwischen waren sie von fünf, sechs Leuten umringt –, »ich bringe ihn sofort ins [366]  Krankenhaus, und zwar in meinem Wagen.« Tom rannte über die Straße und hämmerte an die Haustür: »Simone, ich bin’s, Tom!« Als sie aufmachte, sagte er:
    »Jonathan ist verletzt. Wir müssen sofort ins Krankenhaus. Holen Sie Ihren Mantel und kommen Sie. Georges auch!«
    Georges stand im Flur. Simone ließ den Mantel an der Flurgarderobe hängen, nahm nur die Schlüssel aus seiner Tasche und eilte zurück zu Tom. »Verletzt? Ist er angeschossen?«
    »Ich fürchte, ja. Mein Auto steht links – dort drüben, der grüne Renault.« Fünf Meter hinter der Stelle, wo die Italiener gewartet hatten. Simone wollte zu ihrem Mann, aber Tom versicherte ihr, sie könne sich nützlicher machen, indem sie die Türen seines Wagens öffnete. Er hatte nicht abgeschlossen. Noch mehr Menschen um sie, doch noch immer keine Polizei. Ein kleiner, übereifriger Mann wollte von Tom wissen, wer zum Teufel er denn sei, daß er hier alles an sich reiße?
    »Leck mich!« sagte Tom auf englisch. Gemeinsam mit Reeves mühte er sich, Jonathan so behutsam wie möglich zum Wagen zu tragen. Den Wagen zurückzusetzen wäre klüger gewesen, doch da sie Jon nun schon einmal hochgehoben hatten, trugen sie ihn weiter. Einige Leute halfen mit, nach ein paar Schritten ging es leichter. Sie legten ihn auf die Rückbank.
    Tom stieg ein, sein Mund war trocken. »Madame Trevanny – Reeves Minot«, sagte Tom.
    »Angenehm«, sagte Reeves mit seinem amerikanischen Akzent.
    [367]  Simone setzte sich nach hinten, neben Jonathan; Reeves nahm Georges mit nach vorne, und Tom fuhr los, zum Krankenhaus von Fontainebleau.
    »Ist Papa ohnmächtig?« fragte der Junge.
    » Oui , Georges.« Simone weinte.
    Jonathan hörte ihre Stimmen, konnte aber nicht sprechen. Er konnte sich nicht bewegen, nicht einmal einen Finger rühren. Er sah eine graue See vor sich, irgendwo an der englischen Küste, ablaufendes Wasser, verebbende Wellen. Schon war er weit weg von Simone, an deren Brust er lehnte – so glaubte er wenigstens. Aber Tom lebte noch. Tom fuhr den Wagen, als wäre er Gott. Irgendwann war ein Schuß gefallen, aber das machte jetzt eigentlich nichts mehr. Dies war also der Tod, dem er sich zuvor vergeblich hatte stellen, auf den er sich vergeblich hatte vorbereiten wollen. Eine Vorbereitung war nicht möglich, letzten Endes blieb nur die Kapitulation. Und alles, was er getan, vertan, erreicht, ersehnt hatte, erschien ihm nun auf einmal sinnlos.
    Ein Krankenwagen kam ihnen mit heulender Sirene entgegen. Tom fuhr vorsichtig. Nur noch wenige Minuten. Die Totenstille im Wagen wurde ihm unheimlich – als wäre für Reeves und ihn, für Simone und Georges und für Jonathan, falls der überhaupt bei Bewußtsein war, die Zeit stehengeblieben.
    »Der Mann ist tot!« rief der junge Arzt erstaunt.
    »Aber…« Tom konnte es nicht glauben. Er brachte kein weiteres Wort hervor.
    Nur Simone schrie auf.
    Sie standen auf dem Asphalt vor einem Eingang des [368]  Krankenhauses. Zwei Sanitäter hatten Jonathan auf eine Trage gelegt und hielten sie so, als wüßten sie nicht, was sie tun sollten.
    »Simone, wollen Sie…« Aber Tom hatte schon vergessen, was er eigentlich sagen wollte. Und Simone ging hinter Jonathan her, den sie nun hineintrugen. Georges folgte ihr. Tom lief ihr nach, er wollte die Hausschlüssel haben, wollte die beiden Leichen in ihrem Haus wegschaffen, sie irgendwie, irgendwo beseitigen, doch dann blieb er so plötzlich stehen, daß er auf dem Asphalt ausrutschte: Die Polizei würde das Haus der Trevannys lange vor ihm erreichen. Wahrscheinlich brachen die Beamten in diesen Minuten bereits die Tür auf, denn bestimmt hatten sie von den Menschen auf der Straße erfahren, daß der ganze Aufruhr in dem grauen Haus seinen Anfang genommen hatte, daß nach den Schüssen jemand – er nämlich – zum Haus zurückgerannt, mit einer Frau und einem kleinen Jungen herausgekommen und in ein

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