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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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auch Gauthier eingeweiht wäre, als Überbringer der schlimmen Botschaft? Wie ein Alptraum, in dem sich die seltsamsten Gestalten gegen den Träumenden verbündeten. Doch Jonathan wußte, daß er nicht träumte. Dr.   Perrier hatte von Stephen Wister kein Geld genommen. Und Ebberle-Valent auch nicht. Überdies war es kein Traum, daß sich sein Zustand verschlimmert hatte, daß der Tod ein bißchen näher gerückt war, ein wenig schneller eintreten würde, als er erwartet hatte. Allerdings traf das für jeden zu, der einen neuen Tag erlebte. Jonathan dachte an den Tod, an das Altern als einen Prozeß, einen Verfall, einen Pfad, der unweigerlich nach unten führte. Den meisten Menschen war es vergönnt, den Pfad langsam hinabzuschreiten, etwa ab Mitte Fünfzig oder je nachdem, wann einer langsamer wurde. Und dann stiegen sie hinab, bis sie siebzig waren oder die ihnen bemessene Zahl an Jahren erreicht hatten. Sein Tod dagegen wäre wie der Sturz von einer Klippe. Sobald er versuchte, sich »darauf vorzubereiten«, wankte sein Geist und wich davor zurück. Sein Geist, oder seine Seele, war immer noch vierunddreißig Jahre alt und wollte leben.
    In dem in der Dämmerung blaugrauen Haus der Trevannys brannte kein Licht. Das Haus war ziemlich düster, [65]  was Jonathan und Simone amüsant gefunden hatten, als sie es vor fünf Jahren kauften. »Das Sherlock-Holmes-Haus« hatte er es genannt, als es noch darum ging, ob sie dieses oder ein anderes Haus in Fontainebleau kaufen sollten. »Ich bin immer noch für das Sherlock-Holmes-Haus«, hatte er einmal gesagt. Das wußte er noch. Das Haus wirkte wie aus dem späten neunzehnten Jahrhundert; man dachte an Gaslampen und blankpolierte Geländer, obwohl im ganzen Haus kein Stückchen Holz poliert war, als sie einzogen. Dennoch glaubten beide, sie könnten es in ein Haus mit dem Charme der Jahrhundertwende verwandeln: Die Zimmer waren zwar klein, aber ungewöhnlich angeordnet, der schmale Gartenstreifen zwar völlig verwildert, aber voller Rosenbüsche und brauchte eigentlich nur gründlich gelichtet zu werden. Und der gläserne Portikus mit der Muschelkuppel über der Hintertreppe, diese kleine Veranda, hatte ihn damals an Vuillard und Bonnard erinnert. Jetzt aber stellte er fest, daß es ihnen auch nach fünf Jahren nicht gelungen war, die Düsterkeit aus dem Haus zu vertreiben. Sicher würde das Schlafzimmer mit neuen Tapeten heller, doch das war nur ein Zimmer. Das Haus war noch nicht abbezahlt; sie brauchten noch drei Jahre, um die Hypothek ganz zu tilgen. Eine Wohnung wie die in Fontainebleau, die sie im ersten Jahr ihrer Ehe gemietet hatten, wäre billiger gewesen, aber Simone war an ein Haus mit kleinem Garten gewöhnt (in Nemours hatte sie ihr Leben lang einen Garten gehabt), und Jonathan als Engländer wollte ebenfalls gern einen eigenen Garten. Daß das Haus einen so großen Teil ihres Einkommens verschlang, hatte er nie bereut.
    [66]  Als Jonathan die Stufen zur Haustür nahm, dachte er weniger an die noch nicht getilgte Hypothek als daran, daß er in diesem Haus wahrscheinlich sterben würde. Gewiß würde er niemals erfahren, wie es wäre, mit Simone in einem anderen, heitereren Haus zu wohnen. Das Sherlock-Holmes-Haus hatte schon Jahrzehnte vor seiner Geburt gestanden, und es würde noch Jahrzehnte nach seinem Tod stehen. Es war ihm vorherbestimmt gewesen, das spürte er, sich für dieses Haus zu entscheiden. Eines Tages würden sie ihn mit den Füßen voran hinaustragen, vielleicht gerade noch am Leben, aber schon dem Tode nahe, und er würde das Haus nie wieder betreten.
    Zu seiner Überraschung war Simone in der Küche. Sie saß mit Georges am Tisch und spielte Karten. Lächelnd sah sie auf, doch dann verdüsterte sich ihre Miene. Sicher war ihr eingefallen, daß er am Nachmittag das Pariser Labor hatte anrufen sollen. Aber vor Georges konnte sie nichts sagen.
    »Der alte Bock hat heute früher zugemacht«, sagte Simone. »Keine Kundschaft.«
    »Schön.« Jonathan klang gutgelaunt. »Und, wie steht’s in der Spielhölle?«
    »Ich gewinne!« verkündete Georges auf französisch.
    Simone stand auf und folgte Jonathan in den Flur hinaus, wo er seinen Regenmantel aufhängte. Fragend sah sie ihn an.
    »Kein Grund zur Sorge«, sagte er. Sie aber ging weiter ins Wohnzimmer und bedeutete ihm, ihr zu folgen. »Die Werte sind ein bißchen schlechter, aber es geht mir nicht schlechter, also was soll’s? Es steht mir bis hier. Komm, wir trinken was, einen

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