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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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seinen kleinen Sohn. Irgend jemand, den er für einen Freund oder doch jedenfalls einen guten Bekannten hielt, war ihm alles andere als freundlich gesonnen.
    Wahrscheinlich würde Wister so gegen fünf Uhr nachmittags aus Fontainebleau abreisen. Um drei hatte Jonathan zu Mittag gegessen, die Schublade des runden Wohnzimmertischs aufgeräumt, in der sie alle alten Unterlagen und Quittungen sammelten, und sich dann, voller Genugtuung darüber, daß er gar nicht erschöpft war, mit Schaufel und Feger über die Rohre und den Fußboden rund um ihren Ölofen hergemacht.
    [71]  Kurz nach fünf, als er sich gerade über der Spüle in der Küche den Ruß abschrubbte, kam Simone zurück, zusammen mit Georges, ihrem Bruder Gérard, dessen Frau Yvonne und ihren beiden Kindern. Sie nahmen einen Drink in der Küche. Georges hatte von den Großeltern eine runde Schachtel mit Osterüberraschungen geschenkt bekommen, darunter ein golden eingewickeltes Osterei, ein Schokoladenhäschen und Weingummi in allen Farben, das Ganze noch unter gelbem Zellophan verschlossen, weil Simone ihm verboten hatte, es aufzumachen (er hatte in Nemours genug Süßigkeiten bekommen). Georges verschwand mit den Foussadier-Kindern im Garten.
    »Tritt mir nicht auf die weiche Erde, Georges!« rief Jonathan. Er hatte das umgegrabene Beet geharkt, die Steine aber für Georges liegen lassen. Wahrscheinlich würde der Kleine seine beiden Kameraden dazu bringen, ihm beim Füllen des roten Wägelchens zu helfen. Jonathan gab ihm fünfzig Centimes für jede volle Ladung – richtig voll war es nie, doch immerhin so weit gefüllt, daß die Steine den Boden bedeckten.
    Es begann zu regnen. Erst vor wenigen Minuten hatte Jonathan die Wäsche von der Leine genommen.
    »Der Garten sieht toll aus!« sagte Simone. »Sieh nur, Gérard!« Sie winkte ihren Bruder hinaus auf die kleine Terrasse hinter dem Haus.
    Mittlerweile dürfte Wister schon im Zug nach Paris sitzen, dachte Jonathan. Vielleicht hatte er auch ein Taxi von Fontainebleau nach Orly genommen, schließlich schien er Geld genug zu haben. Oder er war schon in der Luft, unterwegs nach Hamburg. Es schien ihm, als werde Wister [72]  durch Simones Gegenwart, durch Gérards und Yvonnes Stimmen, aus dem Hôtel de l’Aigle Noir ausradiert oder doch beinahe zu einer Eingebung seiner eigenen Phantasie reduziert. Daß er Wister nicht angerufen hatte, empfand er als einen gewissen Triumph, so als habe er dadurch einer Versuchung erfolgreich widerstanden.
    Gérard Foussadier war Elektriker, ein korrekter, ernsthafter Mann, etwas älter als Simone, mit hellerem Haar als seine Schwester und einem sorgsam gestutzten braunen Schnurrbart. Seekriegsgeschichte war sein Hobby; er baute Modellschiffe, Fregatten aus dem 18. und 19.   Jahrhundert, in denen er winzige Glühbirnen anbrachte, so daß er über einen Schalter im Wohnzimmer die Schiffe ganz oder teilweise beleuchten konnte. Er lachte selber über den Anachronismus, elektrisches Licht in seine Fregatten zu legen, aber es sah einfach schön aus, wenn alle anderen Lichter im Haus gelöscht waren und das knappe Dutzend Schiffe im Wohnzimmer über eine dunkle See dahinzusegeln schien.
    »Simone sagte, du machst dir Sorgen um deine Gesundheit, Jon«, sagte Gérard ernst. »Das tut mir leid zu hören.«
    »Nichts Besonderes. Noch eine Untersuchung, nur zur Sicherheit«, sagte Jonathan. »Die Werte sind kaum verändert.« Er hatte sich an diese Phrasen gewöhnt. Sie bedeuteten nicht mehr als das »Gut, danke«, das man von sich gab, wenn man nach dem Befinden gefragt wurde. Gérard war mit der Antwort zufrieden, also hatte Simone offensichtlich nicht viel verraten.
    Sie und Yvonne unterhielten sich über Linoleum: In der Küche war der Linoleumbelag vor dem Herd und der [73]  Spüle stark abgenutzt. Schon beim Kauf des Hauses war er nicht mehr neu gewesen.
    »Geht es dir auch wirklich gut, mein Schatz?« fragte Simone ihren Mann, als die Foussadiers gegangen waren.
    »Bestens. Ich hab sogar den Ruß im Heizungsraum abgekratzt.« Jonathan lächelte.
    »Du bist ja verrückt. Na, wenigstens bekommst du heute abend etwas Anständiges zu essen. Mama wollte unbedingt, daß ich drei paupiettes vom Mittag für dich aufhebe. Sie schmecken phantastisch!«
    Dann aber, kurz vor elf, sie wollten gerade zu Bett gehen, zog es ihn auf einmal nieder, als wären seine Beine, sein ganzer Unterkörper in zähem Schleim versunken, als watete er durch hüfthohen Schlamm. War er einfach nur

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