Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
eine geheimnisvolle Anziehungskraft aus. »Oui, M’sieur«, erwiderte Jonathan und ging.
Dr. Perriers Privatnummer stand im Telefonbuch. Jonathan hoffte, daß er zu Hause war. Ein tabac mit Telefon lag näher als sein Geschäft. Panik stieg in ihm auf; er ging schneller, auf den roten, schrägen Zylinder der Leuchtreklame vor dem tabac zwei Straßen weiter zu. Er würde auf der Wahrheit bestehen. Jonathan nickte dem jungen Mann hinter dem Tresen zu, den er flüchtig kannte, zeigte auf das Telefon und dann auf das Regal mit den Telefonbüchern: »Fontainebleau!« rief er. Es war laut in dem Laden, auch eine Musikbox lärmte. Jonathan suchte die Nummer heraus und wählte.
Dr. Perrier meldete sich; er erkannte Jonathan an der Stimme.
[59] »Ich würde am liebsten einen weiteren Test machen lassen. Gleich jetzt, wenn Sie eine Probe nehmen könnten.«
»Heute abend noch?«
»Ich könnte sofort vorbeikommen. In fünf Minuten.«
»Ist es… Fühlen Sie sich schwach?«
»Ja, und – ich dachte, wenn die Probe morgen in Paris wäre…« Jonathan wußte, daß Dr. Perrier gewöhnlich jeden Samstagmorgen diverse Proben nach Paris schickte. »Vielleicht könnten Sie heute abend oder morgen früh eine Probe nehmen…«
»Morgen früh bin ich nicht in der Praxis, da mache ich Krankenbesuche. Wenn Sie so beunruhigt sind, Monsieur Trevanny, dann kommen Sie gleich zu mir nach Hause.«
Jonathan bezahlte das Gespräch und war schon fast an der Tür, als ihm der Kaugummi einfiel. Er kaufte zwei Päckchen und steckte sie in die Jackentasche. Perrier wohnte drüben am Boulevard Maginot, fast zehn Minuten zu Fuß. Jonathan ging schnell, verfiel in Laufschritt. Er war noch nie in der Wohnung des Arztes gewesen.
Das Haus war groß und düster, die Concierge alt, hager und langsam. Sie saß in ihrem kleinen Glaskasten voller Plastikblumen und sah fern. Während Jonathan vor dem Fahrstuhl auf den wackligen Käfig wartete, kam sie in den Flur geschlichen und fragte neugierig: »Bekommt Ihre Frau ein Kind, M’sieur ?«
»Nein, nein«, sagte Jonathan lächelnd. Ihm fiel ein, daß Dr. Perrier praktischer Arzt war.
Er fuhr hinauf.
»Also, was ist los?« fragte Dr. Perrier. Er winkte ihn durch das Eßzimmer weiter. »Kommen Sie, hier herein.«
[60] Die Wohnung war spärlich beleuchtet. Irgendwo lief der Fernseher. Sie betraten ein Zimmer, das einem kleinen Büro glich: Regale voller medizinischer Bücher und ein Schreibtisch, auf dem die schwarze Tasche des Doktors stand.
» Mon dieu, man könnte meinen, Sie würden jeden Moment zusammenbrechen! Sie müssen gelaufen sein – Sie haben ganz rote Backen. Sagen Sie bloß nicht, Sie hätten schon wieder ein Gerücht gehört, daß Sie mit einem Bein im Grab stehen!«
Jonathan zwang sich zur Ruhe. »Ich hätte nur gerne Sicherheit. Ehrlich gesagt, so großartig geht es mir wirklich nicht. Ich weiß, der letzte Test liegt erst zwei Monate zurück, aber was kann es schaden, wenn der nächste Ende April ansteht…« Achselzuckend brach er ab. »Außerdem läßt sich das Mark doch leicht entnehmen, und die Probe kann morgen früh eingeschickt werden…« Jonathan dachte, wie unbeholfen sein Französisch klang, dachte an das Wort moelle, »Mark«, das er nicht mehr leiden konnte, weil es ihn daran erinnerte, daß sein eigenes Knochenmark abnorm weiß war. Er spürte, daß Dr. Perrier ihm als Patienten seinen Willen lassen wollte.
»Sicher, ich kann die Probe nehmen. Das Ergebnis wird wahrscheinlich nicht anders ausfallen als beim letztenmal. Monsieur Trevanny, völlige Sicherheit bekommen Sie von den Medizinern niemals…« Der Arzt redete weiter, während Jonathan seinen Pullover auszog und sich auf den Wink des Doktors auf ein altes Ledersofa legte. Der Arzt injizierte die Betäubungsspritze. »Aber ich kann Ihre Besorgnis verstehen«, sagte er kurz darauf, während er auf [61] die Kanüle drückte und klopfte, die er in Jonathans Brustbein eingeführt hatte.
Das knirschende Geräusch war Jonathan zuwider, doch den leichten Schmerz fand er durchaus erträglich. Vielleicht würde er diesmal Genaues erfahren. Bevor er ging, konnte er sich die Frage nicht verkneifen: »Doktor Perrier, ich muß die Wahrheit wissen. Sie glauben doch nicht, daß uns das Labor einen falschen Abschlußbericht geben könnte, oder? Daß dessen Werte stimmen, will ich gerne glauben, aber –«
»Mein lieber junger Mann, genau das, eine abschließende Beurteilung oder Prognose, können Sie
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