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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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nicht bekommen!«
    Jonathan ging nach Hause. Er hatte daran gedacht, Simone zu erzählen, daß er zum Arzt gegangen war, daß er wieder Angst gehabt hatte, aber er brachte es nicht über sich. Er hatte ihr schon genug zugemutet. Was sollte sie auch sagen, wenn er es ihr erzählte? Sie würde sich nur noch mehr ängstigen, genau wie er.
    Georges lag schon oben im Bett, und Simone las ihm vor: wieder einmal Asterix. Georges gegen die Kissen gelehnt, Simone auf einem Schemel im Lampenlicht: Die beiden waren ein Bild von Häuslichkeit, gemalt etwa 1880. Nur Simones Hose paßte nicht dazu. Im Licht der Lampe leuchtete das Haar des Jungen goldgelb wie Mais.
    »Le schuing gomm?« Georges grinste ihn an.
    Lächelnd zog Jonathan ein Päckchen hervor. Das zweite würde er ihm bei anderer Gelegenheit geben.
    »Du kommst spät«, sagte Simone.
    »Ich war noch auf ein Bier in der Bar«, sagte er.
    Wie Dr.   Perrier ihm geraten hatte, rief Jonathan am [62]  Nachmittag darauf das Labor Ebberle-Valent in Neuilly an. Er nannte seinen Namen, buchstabierte ihn und sagte, er sei ein Patient von Dr.   Perrier in Fontainebleau. Während er darauf wartete, zur richtigen Abteilung durchgestellt zu werden, hörte er jede Minute ein blip für die nächste Gesprächseinheit durchlaufen. Stift und Papier hielt er bereit. Ob er bitte seinen Namen noch einmal buchstabieren könne? Dann eine Frauenstimme am anderen Ende. Die Frau las den Befund vor, Jonathan notierte hastig die Zahlen. Hyperleukozytose: 190.000. War das nicht mehr als zuletzt?
    »Selbstverständlich schicken wir Ihrem Arzt einen schriftlichen Bericht. Dienstag sollte er ihn haben.«
    »Der Befund ist ungünstiger als der letzte, nicht?«
    »Der letzte Befund liegt mir nicht vor, M’sieur. «
    »Ist vielleicht ein Arzt in der Nähe? Könnte ich mit einem Arzt sprechen?«
    »Ich bin Ärztin, M’sieur !«
    »Oh. Also, dieser Befund, auch wenn Sie den alten nicht vorliegen haben – er ist nicht gut, oder?«
    Sie antwortete wie aus dem Lehrbuch: »Sie haben eine potentiell gefährliche Krankheit, die mit einer verminderten Widerstandskraft einhergeht…«
    Jonathan hatte vom Laden aus angerufen, das Schild auf FERMÉ gedreht und den Türvorhang zugezogen, auch wenn man ihn nach wie vor durch das Schaufenster sehen konnte. Als er nun das Schild wieder umdrehte, merkte er, daß er gar nicht abgeschlossen hatte. Da am Nachmittag kein Kunde ein Bild abholen wollte, konnte er sich leisten, früher zu schließen. Es war fünf vor fünf.
    [63]  Er ging zu Dr.   Perriers Praxis, bereit, eine Stunde oder länger zu warten, wenn es sein mußte. Samstags war die Praxis immer voll, weil die meisten nicht arbeiten mußten und Zeit hatten, zum Arzt zu gehen. Drei waren vor ihm an der Reihe, doch als ihn die Sprechstundenhilfe fragte, ob es bei ihm lange dauern würde, und er verneinte, schob sie ihn mit einer Entschuldigung an den nächsten Patienten dazwischen. Hatte der Doktor vielleicht mit der Sprechstundenhilfe über ihn gesprochen?
    Dr.   Perrier zog die schwarzen Augenbrauen hoch, als er Jonathans hingekritzelte Zahlen las: »Aber das ist nicht vollständig!«
    »Ich weiß, aber die Zahlen besagen doch etwas, oder? Es ist ein bißchen schlimmer geworden, nicht?«
    »Man könnte meinen, Sie wollten, daß es Ihnen schlechter geht!« sagte der Doktor in seiner gewohnt aufmunternden Art, der Jonathan nun nicht mehr traute. »Kurz und gut, ja, die Werte sind schlechter, aber nur ein bißchen. Völlig unerheblich.«
    »In Prozent, was würden Sie sagen? Zehn Prozent schlechter?«
    »Monsieur Trevanny, Sie sind kein Auto! Und es wäre unvernünftig, mehr zu sagen, bis ich am Dienstag den vollständigen Bericht in den Händen habe.«
    Jonathan ging langsam nach Hause, durch die Rue des Sablons, nur für den Fall, daß ein Kunde vor seinem Laden wartete. Da war niemand. Nur in der Wäscherei herrschte Hochbetrieb; am Eingang drängten sich Leute mit Wäschebündeln im Arm. Es war kurz vor sechs. Simone mußte heute bis nach sieben im Schuhgeschäft bleiben, [64]  länger als sonst, weil ihr Chef Brezard sich keinen Franc entgehen lassen wollte, bevor er bis Dienstag morgen schloß. Und Wister war immer noch im Aigle Noir. Wartete er nur auf ihn, nur darauf, daß er es sich anders überlegte und ja sagte? Wäre es nicht komisch, wenn Dr.   Perrier mit Stephen Wister unter einer Decke steckte, wenn beide es so arrangiert hätten, daß Ebberle-Valent ihm falsche Laborwerte nannte? Und wenn

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