Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
Cinzano.«
[67] »Jon, diese Geschichte hat dir auf der Seele gelegen, nicht wahr?«
»Ja, das stimmt.«
»Ich wüßte zu gern, wer sie in die Welt gesetzt hat.« Verbittert kniff sie die Augen zusammen. »Das ist eine Gemeinheit. Hat dir Gauthier nie gesagt, vom wem er die Geschichte hat?«
»Nein. Er meinte, irgendwer hätte sich geirrt, hätte übertrieben, so etwa.« Jonathan wiederholte, was er schon einmal zu ihr gesagt hatte. Dabei wußte er, daß es kein Irrtum gewesen war, sondern kalte Berechnung.
[68] 5
Jonathan stand am Schlafzimmerfenster im ersten Stock und sah zu, wie Simone im Garten Wäsche auf die Leine hängte: Kissenbezüge, Georges’ Schlafanzüge, ein Dutzend Paar Strümpfe, seine und die des Jungen, zwei weiße Nachthemden, BH s, Jonathans hellbraune Arbeitshosen – alles bis auf die Bettlaken, die Simone in die Wäscherei gab, weil sie Wert auf gut gebügelte Bettwäsche legte. Sie trug Tweedhosen und einen dünnen, roten, enganliegenden Pullover. Ihr Rücken wirkte kräftig und biegsam, wie sie sich über den großen Wäschekorb beugte, um die Geschirrtücher aufzuhängen. Es war ein schöner, sonniger Tag; die sanfte Brise brachte eine Ahnung vom Sommer.
Jonathan hatte sich um die Fahrt nach Nemours und das Mittagessen mit Simones Eltern, den Foussadiers, erfolgreich herumgedrückt. Grundsätzlich gingen sie jeden zweiten Sonntag alle zusammen hin. Wenn Simones Bruder Gérard sie nicht mit dem Auto abholte, nahmen sie den Bus nach Nemours. Dort, im Haus der Foussadiers, gab es dann ein großes Essen, an dem auch Gérard mit Frau und zwei Kindern teilnahm. Sie wohnten ebenfalls in Nemours. Simones Eltern konnten von Georges nicht genug bekommen und hatten jedesmal ein Geschenk für ihn. Gegen drei setzte sich Jean-Noël, Simones Vater, dann vor [69] den Fernseher. Meist langweilte sich Jonathan, aber er kam mit, weil sich das eben so gehörte und weil er die engen Familienbande der Franzosen respektierte.
»Geht’s dir nicht gut?« hatte Simone gefragt, als Jonathan sagte, er wolle nicht mitkommen.
»Doch, mein Schatz. Aber ich bin heute einfach nicht in der Stimmung, außerdem möchte ich das Gemüsebeet für die Tomaten umgraben. Geh du doch diesmal mit Georges alleine, ja?«
Also nahmen Simone und Georges den Mittagsbus. Simone hatte den Rest bœuf bourguignon in einem kleinen roten Topf auf den Herd gestellt. Jonathan brauchte es nur noch aufzuwärmen, wenn er Hunger bekam.
Er hatte allein sein wollen. Der geheimnisvolle Stephen Wister mit seinem Vorschlag ging ihm nicht aus dem Kopf. Nicht daß er Wister heute im Aigle Noir anrufen wollte, obwohl er sehr wohl wußte, daß Wister noch dort war, keine dreihundert Meter von ihm entfernt. Er hatte durchaus nicht die Absicht, mit dem Mann Verbindung aufzunehmen, doch gleichzeitig war der Gedanke daran seltsam erregend und verwirrend, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, ein farbiger Lichtstrahl in der Monotonie seines Lebens. Er wollte weiter beobachten, was da passierte, es gewissermaßen genießen. Außerdem hatte Jonathan das Gefühl (das sich oft bestätigt hatte), Simone könne seine Gedanken lesen oder wisse zumindest, wenn ihn etwas beschäftigte. Sollte er an diesem Sonntag geistesabwesend wirken, wollte er nicht, daß Simone etwas bemerkte und ihn fragte, was los sei. Also stürzte er sich in die Gartenarbeit und träumte vor sich hin. Er dachte an die [70] vierzigtausend Pfund: Mit einer solchen Summe könnte er die Hypothek auf einen Schlag tilgen, die Raten für etliche Anschaffungen abbezahlen, das Haus innen neu streichen, soweit erforderlich; er könnte einen Fernsehapparat kaufen, ein Sparkonto für Georges’ Studium anlegen und für Simone und sich ein paar neue Sachen kaufen – ah, welche Erleichterung, einfach keine Sorgen mehr zu haben! Er sah ihn vor sich, den Mann von der Mafia, vielleicht auch den zweiten: stämmige, schwarzhaarige Schlägertypen, die im Tod die Arme hochwarfen und zusammenbrachen. Was er sich aber ganz und gar nicht vorstellen konnte, während er den Spaten in die Erde seines Gartens stieß, war er selber, wie er auf den Rücken eines Mannes zielte und abdrückte. Interessanter, geheimnisvoller und gefährlicher war die Frage, wie Wister an seinen Namen gekommen war. In Fontainebleau gab es eine Verschwörung gegen ihn, und etwas davon mußte nach Hamburg durchgesickert sein. Ausgeschlossen, daß ihn Wister verwechselte, denn der Mann hatte seine Krankheit erwähnt, seine Frau,
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