Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
ganze Summe, doch für eine Menge zusätzliche Franc. Er mußte Geschichten von Spritzen und Tabletten erfinden und vielleicht noch ein-, zweimal nach Deutschland fliegen, nur damit es glaubhaft klang, wenn er erzählte, die Ärzte untersuchten ihn weiter. Das war nicht leicht und lag ihm gar nicht. Jonathan hoffte, er werde noch eine bessere Erklärung finden, doch vom Himmel würde sie nicht fallen, soviel war klar. Er würde gründlich nachdenken müssen.
»Du kommst spät«, sagte Simone, als er das Haus betrat. Sie war mit Georges im Wohnzimmer. Überall auf dem Sofa lagen Bilderbücher.
»Kundschaft«, sagte Jonathan und warf den Regenmantel [196] auf einen Haken. Was für eine Erleichterung, das Gewicht der Pistole nicht mehr zu spüren. »Und wie geht’s dir, pebble boy ? Was treibst du so?« fragte Jonathan auf englisch.
Georges grinste wie ein kleiner blonder Kürbis. Während Jonathan in München war, hatte er einen Schneidezahn verloren. »Ich l-l-lese«, stotterte Georges.
»Du l-l-liest nicht, du liest. Wenn du nämlich l-l-liest, dann stot-tot-totterst du.«
»Was ist stot-tot-tottern?«
» Bé-bé-bégayer. Wenn du nicht flüssig sprechen kannst. Bégayer. Aber das tust du ja sonst nicht.«
»Jon, sieh dir das mal an.« Simone griff nach einer Zeitung. »Heute mittag ist’s mir nicht aufgefallen. Hier: Zwei Männer – nein, ein Mann wurde gestern im Zug von München nach Paris getötet. Ermordet und dann hinausgeworfen! Glaubst du, das war dein Zug?«
Jonathan betrachtete das Foto des toten Mannes am Fuß der Böschung und den dazugehörigen Artikel, als sähe er beides zum erstenmal: …mit einer Garrotte erdrosselt… dem zweiten Opfer muß vielleicht ein Arm amputiert werden… »Ja, der Mozart-Expreß. Im Zug ist mir nichts aufgefallen. Allerdings hatte er an die dreißig Wagen.« Jonathan hatte ihr erzählt, er sei gestern abend zu spät in Paris angekommen, habe den letzten Zug nach Fontainebleau verpaßt und sich ein Zimmer in einem kleinen Hotel genommen.
»Die Mafia!« Simone schüttelte den Kopf. »Sie müssen die Vorhänge im Abteil zugezogen haben, bevor sie dem Mann diese Garrotte… O Gott!« Sie stand auf und ging in die Küche.
[197] Jonathan sah zu Georges hinüber, der in einen Asterixband vertieft war. Was eine Garrotte war, hätte er ihm nur ungern erklären müssen.
Tom war am selben Abend bei den Grais zwar ein bißchen angespannt, doch ansonsten bester Laune. Antoine und Agnès Grais wohnten in einem runden Haus mit einem Turm, um den sich Kletterrosen rankten. Antoine war Ende Dreißig, ordentlich, ja fast pedantisch, selbständig und schrecklich ehrgeizig. Die ganze Woche über arbeitete er in seinem bescheidenen Pariser Büro; am Wochenende kehrte er zu seiner Familie aufs Land zurück und rackerte bis zur totalen Erschöpfung im Garten. Tom wußte, daß Antoine ihn für faul hielt: Was Wunder, wenn Toms Garten genausogut gepflegt war, hatte der Mann doch den ganzen lieben langen Tag sonst nichts zu tun… Agnès und Héloïse hatten etwas Fabelhaftes gekocht, eine casserole mit Hummer, Meeresfrüchten aller Art, Reis und zwei Saucen zur Wahl.
»Ich habe einen wunderbaren Weg gefunden, Feuer im Wald zu legen«, sinnierte Tom beim Kaffee. »Besonders geeignet für Südfrankreich, wo im Sommer die Bäume so trocken sind. Man befestigt eine Lupe an einer Kiefer, das kann man schon im Winter machen, und wenn dann der Sommer kommt, fällt das Sonnenlicht durch die Linse auf die Kiefernnadeln und entfacht ein kleines Feuer. Natürlich wählt man einen Baum nahe beim Haus von jemandem, den man nicht leiden kann – es zischt und knistert, und ruckzuck steht das ganze Haus in Flammen! Die Polizisten oder die Versicherungsfritzen werden die Lupe unter all dem verkohlten Holz wohl kaum finden, und selbst wenn… Perfekt, nicht?«
[198] Antoine mußte widerwillig kichern; die Frauen kreischten beeindruckt auf.
»Wenn mir das mit meinem Haus unten im Süden passiert, weiß ich, wer es war!« verkündete Antoine in seinem tiefen Bariton.
Die beiden besaßen ein Häuschen bei Cannes, das sie im Juli und August vermieteten, wenn die Mieten am höchsten waren, und während der übrigen Sommermonate selber nutzten.
Die meiste Zeit über dachte Tom an diesem Abend aber an Jonathan Trevanny: ein steifer, verklemmter, im Grunde jedoch grundanständiger Kerl. Der Mann würde noch mehr Hilfe brauchen. Hoffentlich nur moralische Unterstützung und nicht mehr.
[199]
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