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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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sein Leben retten noch sonst viel bewirken. Schon möglich, daß ein Gefühl der Sicherheit immer nur eingebildet war, aber war es, solange es anhielt, nicht genauso wirklich wie jedes andere Gefühl? Was gab es denn sonst? Was war denn Glück, wenn nicht eine innere Einstellung?
    Und dann war da noch die andere Unbekannte der Gleichung, der Leibwächter Turoli, der noch lebte.
    Am Abend des 29.   April, einem Samstag, gingen Jonathan und Simone zu einem Konzert im Theater von Fontainebleau. Ein Streichquartett spielte Schubert und Mozart. Jonathan hatte die teuersten Karten gekauft und wollte Georges mitnehmen, der sich gut betragen konnte, wenn sie es ihm vorher ausdrücklich eingeschärft hatten, aber Simone war dagegen gewesen. Wenn Georges sich nicht mustergültig benahm, war ihr das immer peinlicher als Jonathan. »Nächstes Jahr«, sagte sie.
    In der Pause gingen sie in das große Foyer, wo man rauchen durfte. Überall sahen sie vertraute Gesichter, darunter Pierre Gauthier, den Künstlerbedarfshändler, der zu Jonathans Überraschung im Smoking erschienen war.
    »Mozart wird durch Sie erst richtig schön, Madame«, sagte Gauthier mit einem bewundernden Blick auf Simones zinnoberrotes Kleid.
    Simone bedankte sich anmutig für das Kompliment. Sie sah tatsächlich besonders hübsch und glücklich aus. Gauthier war allein. Auf einmal fiel Jonathan ein, daß Gauthiers Frau vor ein paar Jahren gestorben war, noch bevor er den Mann kennengelernt hatte.
    »Ganz Fontainebleau ist heute abend hier«, bemerkte [212]  Gauthier, nur mit Mühe das Stimmengewirr übertönend. Sein einäugiger Blick streifte über die Menschenmenge unter der Kuppel des Foyers, sein kahler Schädel glänzte unter dem grauschwarzen, sorgfältig darübergekämmten Haar. »Wie wär’s nachher mit einem Kaffee in der Bar gegenüber?« fragte er. »Ich würde Sie gerne einladen.«
    Simone und Jonathan wollten schon ja sagen, als Gauthier erstarrte. Jonathan folgte seinem Blick und sah Tom Ripley nur wenige Meter entfernt in einer Gruppe von vier, fünf Leuten stehen. Ihre Blicke trafen sich. Ripley nickte Jonathan zu, so als wolle er herüberkommen und ihn begrüßen; gleichzeitig trat Gauthier, der gehen wollte, nach links beiseite. Simone wandte den Kopf, um zu sehen, wen Jonathan und Gauthier bemerkt hatten.
    »Tout à l’heure, peut-être«, sagte Gauthier.
    Simone sah Jonathan an und zog die Augenbrauen hoch.
    Ripley fiel auf, nicht weil er ziemlich groß war, eher weil er mit seinem dunkelblonden Haar, das im Licht der Kronleuchter golden schimmerte, nicht wie ein Franzose aussah. Er trug ein pflaumenfarbenes Satinjackett. Die attraktive Blondine neben ihm, eine beeindruckende Schönheit ganz ohne Make-up, mußte seine Frau sein.
    »Nun, wer ist das?« fragte Simone.
    Jonathan wußte, wen sie meinte. Sein Herz schlug schneller. »Keine Ahnung. Ich hab ihn schon mal gesehen, weiß aber seinen Namen nicht.«
    »Er war mal bei uns, dieser Mann«, sagte Simone. »Ich erinnere mich an ihn. Mag Gauthier ihn nicht?«
    Ein Klingeln bedeutete ihnen, die Plätze wieder einzunehmen.
    [213]  »Ich weiß nicht. Wieso?«
    »Weil er wegwollte!« sagte Simone, als sei das offensichtlich.
    Jonathan war die Freude an der Musik vergangen. Wo war der Mann? In einer der Logen? Jonathan sah nicht hinauf. Vielleicht saß Ripley auch gegenüber vom Gang im Parkett, so wie er. Jonathan wußte es nicht. Ripleys Anwesenheit war es nicht, die ihm den Abend verdarb, sondern Simones Reaktion. Und diese Reaktion hatte er selber ausgelöst, als er sich von Ripleys Anblick dermaßen hatte verunsichern lassen. Bewußt versuchte Jonathan, sich in seinem Sitz zu entspannen, das Kinn auf die Hand gestützt, und wußte doch, daß er Simone damit nicht täuschen konnte. Wie viele andere hatte auch sie Geschichten über Tom Ripley gehört, wenn ihr sein Name auch gerade entfallen war, und würde ihn womöglich in Verbindung bringen mit – ja, mit was? Das wußte Jonathan in diesem Augenblick wirklich nicht. Aber er fürchtete, was kommen könnte, und machte sich Vorwürfe, seine innere Unruhe so sehr nach außen getragen zu haben. Er steckte in der Klemme; die Lage war äußerst gefährlich, und er mußte, wenn irgend möglich, nach außen hin Ruhe bewahren. Er mußte eine Rolle spielen. Ein bißchen anders als bei seinen Versuchen in jungen Jahren, auf der Bühne zu reüssieren: Das hier war ganz und gar wirklich und echt. Oder, wenn man so wollte, ganz und gar falsch und

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