Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
verlogen. Jonathan hatte Simone noch nie belogen.
»Komm, suchen wir Gauthier!« sagte Jonathan auf dem Weg zum Ausgang. Ringsherum war der Applaus noch nicht verebbt, sondern allmählich in das rhythmische [214] Klatschen übergegangen, mit dem das Publikum eine Zugabe forderte.
Doch sie konnten Gauthier nicht finden. Jonathan hatte nicht gehört, was Simone geantwortet hatte. Sie schien Gauthier gar nicht finden zu wollen: Zu Hause wartete Georges’ Babysitter, ein Mädchen aus ihrer Straße. Es war schon fast elf. Jonathan suchte nicht nach Ripley und sah ihn auch nicht.
Am Sonntag waren sie zum Mittagessen bei Simones Eltern in Nemours eingeladen, zusammen mit ihrem Bruder Gérard und dessen Frau. Wie gewöhnlich wurde nach dem Essen der Fernseher angestellt. Jonathan und Gérard schauten nicht hin.
»Klasse, daß du als Versuchskarnickel noch Geld von den boches bekommst!« sagte Gérard und lachte, was er selten tat. »Das heißt, nur wenn sie bei dir nichts kaputtmachen.« Das war in seiner schlichten, ungehobelten Art aus ihm herausgesprudelt: die ersten Worte Gérards, die Jonathan bewußt wahrnahm.
Sie rauchten Zigarren. Jonathan hatte an einem tabac in Nemours ein Kistchen gekauft. »Ja. Jede Menge Pillen kriege ich. Die wollen mit acht oder zehn Mitteln gleichzeitig angreifen. Den Feind verwirren, verstehst du? Das macht’s auch den feindlichen Zellen schwerer, immun zu werden.« Jonathan redete weiter, kam richtig in Fahrt, halb davon überzeugt, er denke sich das alles eben erst aus, halb in Erinnerung daran, von dieser Methode vor Monaten gelesen zu haben. »Natürlich können die für gar nichts garantieren. Es könnte Nebenwirkungen geben, darum bezahlen sie mir ein bißchen, damit ich durchhalte.«
[215] »Was für Nebenwirkungen?«
»Unter Umständen eine Abnahme des Blutgerinnungsfaktors.« Die bedeutungslosen Phrasen kamen Jonathan immer leichter über die Lippen, denn sein aufmerksamer Zuhörer beflügelte ihn: »Übelkeit, obwohl ich davon noch nichts bemerkt habe. Andererseits kennen sie natürlich noch gar nicht alle Nebenwirkungen. Sie gehen ein Risiko ein. Und ich auch.«
»Und wenn sie Erfolg haben? Oder was sie Erfolg nennen…?«
»Ein paar Jahre mehr zu leben«, sagte Jonathan freundlich.
Am Montag morgen fuhren Jonathan und Simone mit einer Nachbarin namens Irène Pliesse, die jeden Nachmittag nach dem Kindergarten auf Georges aufpaßte, bis Simone ihn abholte, zu dem Antiquitätenhändler in der Nähe von Fontainebleau, wo Jonathan ein Sofa zu finden hoffte. Irène Pliesse war eine unkomplizierte, untersetzte Frau, die er immer eher maskulin gefunden hatte, obwohl sie das vielleicht gar nicht war, – eine Mutter zweier kleiner Kinder, deren Haus in Fontainebleau überquoll von Spitzendeckchen und Tüllgardinen. Außerdem war sie großzügig, mit ihrer Zeit wie mit ihrem Wagen: Oft hatte sie sich angeboten, die Trevannys sonntags nach Nemours zu fahren, aber Simone, die es in solchen Dingen sehr genau nahm, hatte immer abgelehnt, denn Nemours sei reine Familiensache. Deshalb konnten sie Irènes Angebot, bei der Sofasuche behilflich zu sein, ohne Gewissensbisse annehmen, zumal der Kauf sie nicht weniger interessierte, als gehe es um ein Sofa für ihr eigenes Haus.
[216] Sie hatten die Wahl zwischen zwei Chesterfields, beide mit neuem, schwarzem Lederbezug auf einem alten Rahmen. Das größere der beiden gefiel Jonathan und Simone besser. Jonathan konnte den Preis um fünfhundert auf dreitausend Franc drücken – ein Schnäppchen, denn er hatte in einer Annonce das gleiche Sofa für fünftausend abgebildet gesehen. Nun kamen ihm die dreitausend, eine gewaltige Summe, die fast ihrem gemeinsamen Monatsverdienst entsprach, geradezu lächerlich vor. Erstaunlich, dachte er, wie schnell man sich daran gewöhnt, ein bißchen Geld zu haben.
Selbst Irène, deren Haus im Vergleich zu dem ihren luxuriös wirkte, war von dem Sofa beeindruckt. Jonathan fiel auf, daß Simone nicht gleich wußte, was sie sagen sollte, um eine unverdächtige Erklärung zu finden.
»Jonathan hat geerbt, ein Verwandter in England. Nicht viel, aber… Nun, wir wollten etwas richtig Schönes dafür kaufen.«
Irène nickte.
Alles in Ordnung.
Am nächsten Abend sagte Simone vor dem Essen: »Heute hab ich bei Gauthier vorbeigeschaut.«
Bei ihrem Ton war Jonathan sofort auf der Hut. Er las gerade die Abendzeitung und trank einen Scotch mit Soda dazu. »Ach ja?«
»Jon, war es nicht dieser Monsieur
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