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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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überfahren und nicht angehalten!«
    »Mein Gott! Wollen Sie sich nicht setzen, Madame…«
    Simone stand im Flur. »Ach, Madame Delattre… Bonjour! « sagte sie.
    »Simone, Gauthier ist tot«, sagte Jonathan. »Überfahren. Ein Unfall mit Fahrerflucht.«
    »Zwei junge Burschen«, sagte Madame Delattre. »Sie sind einfach weitergefahren!«
    [223]  »Wann?« stieß Simone hervor.
    »Gestern, am späten Abend. Als man ihn ins Krankenhaus einlieferte, so gegen Mitternacht, war er schon tot.«
    »Wollen Sie nicht hereinkommen und sich setzen?« fragte Simone.
    »Nein, nein, vielen Dank. Ich muß gehen, eine Freundin besuchen, Madame Mockers. Ich glaube, sie weiß noch gar nichts davon. Wir kannten ihn doch alle so gut.« Den Tränen nahe, setzte sie kurz den Einkaufskorb ab und wischte sich über die Augen.
    Simone drückte ihr die Hand. »Vielen Dank, Madame Delattre, daß Sie uns Bescheid gesagt haben. Das war sehr freundlich.«
    »Die Beerdigung ist am Montag«, sagte Madame Delattre. »In Saint-Louis.« Dann ging sie.
    Jonathan hatte die Nachricht noch nicht richtig verdaut. »Wie heißt sie noch gleich?«
    »Delattre. Madame Delattre. Ihr Mann ist Klempner«, sagte Simone, als müsse Jonathan das selbstverständlich wissen.
    Delattre war nicht ihr Klempner. Gauthier war tot. Was würde aus seinem Geschäft werden? Jonathan starrte Simone an. Sie standen in dem engen Flur.
    »Tot«, sagte Simone. Sie streckte die Hand aus, faßte Jonathan am Handgelenk, sah ihn aber nicht an. »Am Montag sollten wir zur Beerdigung gehen, meinst du nicht?«
    »Klar.« Ein katholisches Begräbnis. Die Messe inzwischen auf französisch, nicht auf Latein. Er stellte sich die Nachbarn vor, all die vertrauten und fremden Gesichter in der kühlen Kirche voller Kerzen.
    [224]  »Fahrerflucht«, sagte Simone. Wie erstarrt ging sie zur Küche und warf Jonathan über die Schulter einen Blick zu: »Wirklich entsetzlich.«
    Er folgte ihr durch die Küche hinaus in den Garten. Es tat gut, wieder in der Sonne zu sein.
    Simone hängte die letzte Wäsche auf die Leine, rückte hier und da ein Stück zurecht und nahm den leeren Korb auf. »Fahrerflucht. Glaubst du das, Jon?«
    »Das hat sie gesagt.« Beide sprachen leise. Jonathan war immer noch nicht ganz bei sich, aber er verstand, was Simone meinte.
    Sie trat einen Schritt näher, den Korb unter dem Arm. Dann winkte sie ihn zu den Stufen, die zu der kleinen Veranda führten, als könnten die Nachbarn jenseits der Gartenmauer sie sonst hören. »Glaubst du, er ist vielleicht gezielt getötet worden? Von einem gedungenen Mörder?«
    »Warum?«
    »Weil er etwas wußte, darum. Es wäre doch möglich, oder? Warum sollte ein Mensch, der niemandem etwas zuleide tut, zufällig auf diese Weise zu Tode kommen?«
    »Weil solche Sachen eben manchmal passieren«, sagte Jonathan.
    Simone schüttelte den Kopf. »Und du glaubst nicht, daß Monsieur Ripley möglicherweise etwas damit zu tun hat?«
    Jonathan spürte, daß sie innerlich vor Wut schäumte. »Nein, ganz und gar nicht. Da bin ich mir sicher.« Jonathan hätte sein Leben darauf verwettet, daß Tom Ripley nichts damit zu tun hatte. Fast hätte er das gesagt, doch das hätte zu stark geklungen, und eine solche Wette wirkte, anders betrachtet, eher komisch.
    [225]  Simone wollte ins Haus zurückkehren, blieb aber neben ihm stehen. »Gauthier hat mir nichts Genaues gesagt, Jon, das ist wahr. Aber ich glaube, er könnte etwas gewußt haben. Mein Gefühl sagt mir, daß er gezielt umgebracht wurde.«
    Sie stand nur unter Schock, dachte Jonathan, genau wie er selber. Sie dachte nur laut, bevor sie die richtigen Worte finden konnte. Er folgte ihr in die Küche. »Über was soll er etwas gewußt haben?«
    Simone verstaute den Wäschekorb im Eckschrank. »Das ist es ja. Ich weiß es nicht.«

[226]  15
    Die Trauerfeier für Pierre Gauthier fand am Montag um zehn in Saint-Louis statt, der größten Kirche von Fontainebleau. Die Kirche war voll, selbst draußen auf dem Gehweg standen die Leute. Vor der Kirche warteten auch die beiden Autos, ein trauriges Bild: der schwarz glänzende Leichenwagen sowie ein Kleinbus für die Freunde und Verwandten, die kein eigenes Auto hatten. Gauthier war Witwer gewesen, keine Kinder, vielleicht ein Bruder oder eine Schwester, also vielleicht auch Nichten und Neffen. Das hoffte Jonathan jedenfalls. Trotz der vielen Leute hatte die Feier etwas Einsames.
    »Wußten Sie, daß er auf der Straße sein Glasauge verloren hat?«

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