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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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flüsterte der Mann in der Bank neben Jonathan ihm zu. »Ist ihm herausgefallen, als er überfahren wurde.«
    »Ach?« Jonathan schüttelte teilnahmsvoll den Kopf. Der Mann hatte ein Geschäft, er erinnerte sich an das Gesicht, konnte es aber keinem Laden zuordnen. Er sah Gauthiers Glasauge auf dem schwarzen Asphalt der Straße klar und deutlich vor sich. Inzwischen war es womöglich unter die Räder eines Autos gekommen oder von neugierigen Kindern aus dem Rinnstein geklaubt worden. Wie wohl ein Glasauge von hinten aussah?
    Das flackernde, gelbliche Licht der Kerzen erleuchtete [227]  kaum die trostlos grauen Kirchenwände. Ein grauer, wolkenverhangener Tag. Der Priester intonierte auf französisch die liturgischen Formeln. Vor dem Altar stand Gauthiers Sarg, kurz und gedrungen. Wenn er auch kaum Familie hatte, so doch wenigstens viele Freunde. Mehrere Frauen und auch etliche Männer wischten sich Tränen aus den Augen; andere Trauergäste flüsterten miteinander, als fänden sie in ihren gemurmelten Worten mehr Trost als in der Litanei des Priesters.
    Ein zartes Geläut ertönte, hell wie ein Glockenspiel.
    Jonathan blickte nach rechts hinüber, zu den Gästen in den Reihen jenseits des Ganges, und sah Tom Ripleys Gesicht im Profil: Er hielt den Blick geradeaus auf den Priester gerichtet, der nun wieder irgend etwas sagte, und schien den Gottesdienst aufmerksam zu verfolgen. Unter den französischen Gesichtern fiel Ripleys Gesicht auf. Oder dachte er das nur, weil er Ripley kannte? Warum war der Amerikaner überhaupt gekommen? Gleich darauf fragte sich Jonathan, ob Tom Ripleys Erscheinen Teil seiner Inszenierung war, falls er, wie Simone vermutete, wirklich etwas mit Gauthiers Tod zu tun, ja ihn sogar geplant und dafür bezahlt hatte.
    Als alle aufstanden und langsam hintereinander dem Ausgang zustrebten, versuchte Jonathan, Ripley aus dem Weg zu gehen. Am besten dadurch, glaubte er, daß er das nicht bewußt tat und vor allem nicht mehr zu ihm hinübersah. Aber als Jonathan und Simone die Kirche verließen, stand Ripley plötzlich neben ihnen auf den Stufen und begrüßte sie.
    »Guten Morgen!« sagte er auf französisch. Er trug [228]  einen dunkelblauen Regenmantel und ein schwarzes Halstuch. » Bonjour, Madame. Wie schön, Sie beide zu sehen. Sie waren Freunde von Monsieur Gauthier, nicht?«
    Wegen der vielen Leute ging es auf der Treppe nur langsam vorwärts, so langsam, daß man Mühe hatte, das Gleichgewicht zu halten.
    »Oui«, erwiderte Jonathan. »Er hatte sein Geschäft ja bei uns im Viertel. Ein sehr netter Mensch.«
    Tom nickte. »Ich habe heute morgen die Zeitungen nicht gelesen. Ein Freund aus Moret rief mich an. Er hat’s mir erzählt. Hat die Polizei schon irgendeine Spur von den Tätern?«
    »Ich habe nichts gehört«, sagte Jonathan. »›Zwei junge Männer‹, mehr nicht. Du etwa, Simone?«
    Simone schüttelte den Kopf, der in einem schwarzen Schal steckte. »Nein, gar nichts.«
    Tom nickte erneut. »Ich hoffte, Sie hätten vielleicht etwas erfahren. Weil Sie doch näher wohnen als ich.«
    Das war in Jonathans Augen nicht nur gespielt: Ripley schien ehrlich betroffen.
    »Ich muß mir eine Zeitung holen. Gehen Sie noch mit auf den Friedhof?« fragte Tom.
    »Nein«, sagte Jonathan.
    Tom nickte. Sie standen jetzt auf dem Gehweg. »Ich auch nicht. Der gute Gauthier wird mir fehlen. Schade um ihn… War nett, Sie zu sehen!« Ein kurzes Lächeln, dann war er verschwunden.
    Jonathan und Simone gingen weiter, um die Kirche herum in die Rue de la Paroisse, die zu ihrem Haus führte. Nachbarn nickten ihnen zu, schenkten ihnen ein kurzes [229]  Lächeln, und manche sagten: »Guten Morgen, Madame, Monsieur« wie an jedem anderen, gewöhnlichen Morgen. Wagen wurden angelassen, um dem Sarg auf den Friedhof zu folgen, der, wie Jonathan sich erinnerte, gleich hinter dem Krankenhaus von Fontainebleau lag, wo er so oft zur Transfusion gewesen war.
    » Bonjour, Monsieur Trevanny! Et Madame!« Dr.   Perrier, gut gelaunt wie immer, strahlte beinahe wie sonst. Er schüttelte kräftig Jonathans Hand und deutete dabei eine Verbeugung vor Simone an. »Ist es nicht furchtbar? Nein, nein, sie haben noch keine Spur von den Kerlen. Aber irgendwer sagte, der Wagen hätte ein Pariser Nummernschild gehabt. Ein schwarzer Citroën D. S. Mehr ist nicht bekannt… Und Sie, Monsieur Trevanny, wie geht es Ihnen?« Der Doktor lächelte zuversichtlich.
    »Eigentlich unverändert«, sagte Jonathan. »Keine Beschwerden.« Er war

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