Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
froh, daß Perrier gleich weiter mußte, denn Simone ging davon aus, daß er Doktor Perrier zur Zeit ziemlich oft aufsuchte, um sich Tabletten und Spritzen geben zu lassen – dabei hatte er den Doktor vor mehr als zwei Wochen zuletzt gesehen, seit er Dr. Schröders Arztbrief vorbeigebracht hatte, der an seine Geschäftsadresse geschickt worden war.
»Wir müssen uns eine Zeitung holen«, sagte Simone.
»Da vorn an der Ecke«, sagte Jonathan.
Sie kauften die Zeitung. Jonathan stand auf dem Gehweg, immer noch inmitten vieler Gäste des Trauergottesdienstes, die sich allmählich zerstreuten, und las von der »abscheulichen, grausamen Tat halbstarker Rowdys« am späten Samstagabend auf einer Straße in Fontainebleau. [230] Simone las über seine Schulter mit. Für die Sonntagszeitungen war die Geschichte zu spät gekommen, deshalb war dies für sie beide der erste Bericht in der Presse. Jemand hatte einen großen, schwarzen Wagen mit mindestens zwei jungen Männern darin bemerkt, aber ein Pariser Kennzeichen wurde nicht erwähnt. Der Wagen war weitergefahren, Richtung Paris, doch als sich die Polizei an die Verfolgung machte, war er schon verschwunden.
»Es ist wirklich entsetzlich«, sagte Simone. »Fahrerflucht ist ja in Frankreich eher selten…«
Der Anflug von Chauvinismus entging Jonathan nicht.
»Genau deshalb vermute ich…« Sie zuckte die Achseln. »Kann sein, daß ich völlig falsch liege. Aber es paßt zu diesem Ripley, daß er bei Monsieur Gauthiers Beerdigung auftaucht, oder?«
»Er –« Jonathan brach ab. Eigentlich hatte er sagen wollen, Tom Ripley habe soeben doch ehrlich betroffen gewirkt und seine Farben und Pinsel stets bei Gauthier gekauft, aber dann fiel ihm ein, daß er dies gar nicht wissen durfte. »Was meinst du mit ›paßt zu ihm‹?«
Wieder zuckte Simone die Achseln, was bedeutete, daß sie nicht in der Stimmung war, auch nur noch ein Wort zu dem Thema zu verlieren. »Ich halte es mindestens für möglich, daß Monsieur Gauthier diesem Ripley gesagt hat, ich hätte mit ihm gesprochen und ihn gefragt, wer diese Geschichte über dich in Umlauf gesetzt hat. Wie ich dir sagte, dachte ich, es wäre Ripley gewesen, auch wenn Monsieur Gauthier das nicht bestätigen wollte. Und jetzt dieser… dieser mysteriöse Tod von Monsieur Gauthier!«
Jonathan schwieg eine Weile. Die Rue Saint-Merry war [231] nicht mehr weit. »Aber Schatz, sei doch vernünftig: Diese Geschichte, dafür bringt man doch nie und nimmer jemanden um, oder?«
Auf einmal fiel Simone ein, daß sie nichts zum Mittagessen hatten. Sie verschwand in einer Fleischerei; Jonathan wartete draußen. Für einen kurzen Augenblick wurde ihm bewußt – aber anders, so als sähe er es mit den Augen seiner Frau –, was er getan hatte: einen Mann erschossen, bei der Tötung eines zweiten mitgeholfen. Jonathan hatte das rationalisiert, indem er sich sagte, die beiden Männer hätten selber Menschen erschossen, seien selber Mörder gewesen. Natürlich würde Simone das anders sehen; schließlich ging es um menschliches Leben. Schon bei dem Gedanken, Tom Ripley könnte möglicherweise jemanden gedungen haben, um Gauthier umzubringen, war sie in helle Aufregung geraten. Wenn sie wüßte, daß ihr eigener Mann auf einen Menschen geschossen hatte… Oder dachte er das jetzt nur, weil er gerade den Trauergottesdienst besucht hatte? Darin war es immerhin um die Heiligkeit menschlichen Lebens gegangen, auch wenn der Priester meinte, das Jenseits sei die bessere Welt. Jonathan lächelte ironisch: Dieses Wort »Heiligkeit«.
Simone kam aus der Fleischerei, den Arm voll kleiner Päckchen, die sie festzuhalten versuchte. Sie hatte ihr Einkaufsnetz nicht dabei. Jonathan nahm ihr ein paar Päckchen ab. Sie gingen weiter.
Heiligkeit… Jonathan hatte Reeves Minot das Buch über die Mafia zurückgegeben. Sollte er sich wegen seiner Taten jemals ernsthafte Vorwürfe machen, brauchte er sich bloß einige Mörder aus dem Buch ins Gedächnis zu rufen.
[232] Dennoch war Jonathan auf alles gefaßt, als er hinter Simone die Stufen zur Haustür hinaufstieg. Sie stand Ripley inzwischen nämlich geradezu feindselig gegenüber. So viel hatte ihr an Pierre Gauthier nicht gelegen, daß sie über seinen Tod derart betroffen sein konnte. Ihre Haltung setzte sich zusammen aus einem sechsten Sinn, konventioneller Moral und weiblicher Fürsorge. Sie glaubte, daß Ripley die Geschichte erfunden habe, ihr Mann werde bald sterben, und würde sich in diesem
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