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Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)

Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)

Titel: Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Gigerenzer
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erwachsen ist. Kunstfehlerprozesse dienen nicht immer dem Schutz des Patienten.
    Was ist zu tun?
    Wir leben in einem Gesundheitssystem, in dem Ärzte nicht die gleichen Ziele haben wie Patienten. Das ist nicht allein die Schuld der Ärzte; schließlich strengen die Patienten die Prozesse an und tragen damit zu der anhaltend negativen Fehlerkultur in der Medizin bei. Statt zu klagen, müssen wir mehr Verantwortung für unsere eigene Gesundheit und die unserer Kinder übernehmen.
    Unterschreiben Sie!
    Als meine Tochter sechs war, lebten wir in Hyde Park, Chicago. Eines Tages gingen wir zu ihrer ersten zahnärztlichen Untersuchung. Nennen wir den Zahnarzt Dr. Push. Meine Tochter hatte keine Schmerzen; der einzige Zweck des Besuchs bestand darin, sie an solche Zahnuntersuchungen zu gewöhnen. Für derartige Anlässe empfiehlt die US -Gesundheitsbehörde eine gründliche klinische Untersuchung und warnt vor Röntgenaufnahmen: »Auf Röntgen-Screening vor der klinischen Untersuchung sollte verzichtet werden.« 75 Als ich die Zahnarztpraxis betrat, erblickte ich eine kleine Fabrik: Ein Behandlungsstuhl neben dem anderen, während Dr. Push zwischen ihnen umherflitzte. Als meine Tochter schließlich auf einem Stuhl untergebracht wurde, der viel zu hoch für sie war, wandte sich eine freundliche Schwester mit den Worten an sie:
    »Wir machen jetzt ein hübsches Röntgenbild von deinen Zähnen.«
    »Entschuldigen Sie«, mischte ich mich ein, »das ist ein Missverständnis. Sie hat keine Schmerzen, keine Symptome. Es geht nur um ihre erste Untersuchung.«
    »Wir machen immer Röntgenaufnahmen. Jeder bekommt eine Röntgenaufnahme, damit Herr Doktor sehen kann, wie es drinnen aussieht.« Das teilte sie mir mit einem Lächeln, aber in entschiedenem Tonfall mit.
    »Hören Sie, sie hat keine Schmerzen, keine Symptome. Es gibt keinen Grund für eine Röntgenaufnahme.«
    Ihr Lächeln gefror. Dunkle Wolken dräuten. »Bei ihr muss eine Röntgenaufnahme gemacht werden. Wenn Sie es nicht für richtig halten, müssen Sie es Herrn Doktor erklären.«
    »Es wäre mir ein Vergnügen«, erwiderte ich.
    Daraufhin machte sie kehrt und entschwand energischen Schrittes. Nach einer Weile kehrte sie mit Dr. Push zurück.
    »Kein Grund zur Sorge«, versicherte er mir höflich, »es ist nur eine Röntgenaufnahme. Ich brauche sie, damit ich sehen kann, ob etwas mit den Zähnen Ihrer Tochter nicht in Ordnung ist.«
    »Mag sein. Aber sie hat keine Schmerzen. Ich möchte nur, dass Sie eine klinische Untersuchung vornehmen. Es ist nicht im Interesse eines kleinen Mädchens, jedes Mal geröntgt zu werden, wenn sie einen Arzt aufsucht.«
    »Überlegen Sie doch einmal«, erwiderte er. »Wenn etwas in ihren Zähnen ist, kann ich es nicht mit bloßem Auge sehen. Ich könnte etwas übersehen. Das wollen Sie doch nicht, oder?« Ich spürte, wie der Druck stieg. Daher fragte ich ihn: »Könnten Sie mir bitte sagen, was Sie über mögliche Schäden durch Röntgenaufnahmen von Zähnen bei Kindern wissen? Etwa Schilddrüsen- oder Hirntumore?«
    Sein Blick wurde leer.
    »Oder nennen Sie mir eine wissenschaftliche Untersuchung, sodass ich es selbst nachlesen kann«, sagte ich.
    Auch darauf antwortete Dr. Push nicht. »Auf Ihre Verantwortung«, drohte er, da er keine Ahnung von der medizinischen Evidenz hatte.
    »In Ordnung.«
    Er ging in sein Büro und händigte mir ein Blatt Papier aus. »Unterschreiben Sie hier.«
    Dr. Push war sichtlich zornig geworden, als ich ihn nach Belegen fragte; er hätte sie kennen müssen, tat es aber nicht. Und ich war wütend über einen Mann, der Kinder durch die Bank röntgen ließ, egal, ob sie Zahnprobleme hatten oder nicht, und sich um mögliche Schäden nicht scherte. Doch meine Wut war unberechtigt. Tatsächlich ließ mich Dr. Push eine Erklärung unterschreiben, um sich gegen mich zu schützen. Die Prozesskultur der Eltern zwang ihn dazu.
    Frage deinen Arzt, was er tun würde, nicht, was er empfiehlt.
    Patienten können einen Beitrag zu ihrer Gesundheit leisten, indem sie nach Belegen fragen. Außerdem können sie es, wie Peter, ablehnen, sich an fadenscheinigen Klagen zu beteiligen. Schließlich gibt es eine Faustregel, die ich persönlich als nützlich empfunden habe.
    Mit etwa 80 Jahren begann meine Mutter ihr Sehvermögen auf dem rechten Auge zu verlieren. Die Diagnose lautete »feuchte Maculadegeneration«, eine chronische Augenkrankheit infolge abnorm wachsender Blutgefäße, die zu Blindheit im Zentrum des Gesichtsfelds

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