Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)
Autounfall sterben könnten? Weltweit verlieren jedes Jahr etwa zehn Menschen ihr Leben durch Haiangriffe, während Tausende auf der Straße sterben. Studien zeigen, dass viele Menschen fürchten, was sie wahrscheinlich nie verletzen oder töten wird, während sie fröhlich gefährlichen Verhaltensweisen frönen. Wäre es nicht vernünftiger, ganz ruhig die Gefahren zu testen und berechnen, ohne Angst und Furcht? Aber überlegen Sie einen Augenblick. Unmittelbar durch Versuch und Irrtum zu lernen, was schädlich ist und was nicht, wäre wirklich gefährlich. Meine Hypothese lautet: Im Laufe unserer Geschichte haben wir in Situationen, in denen Fehler tödlich waren, die Tendenz entwickelt, das Lernen durch Erfahrung zu vermeiden. Stattdessen verlassen wir uns auf das soziale Lernen dessen, was zu fürchten ist.
Abbildung 4.1: Furcht verhindert, dass wir in gefährlichen Situationen zu lange nachdenken.
Furcht ist einer der grundlegenden emotionalen Schaltkreise unseres Gehirns, die im Bereich der Amygdala liegen. Die Amygdala sendet mehr Informationen an den Kortex, als sie empfängt. Das könnte der Grund sein, warum die Furcht das Denken stärker beeinflusst als umgekehrt. In gefährlichen Situationen ist unser Gehirn also eher geneigt, sich auf seine evolutionäre Intelligenz zu verlassen als auf unser Denken. 77 Da diese subkortikale Lage bei allen Säugetieren zu beobachten ist, kann man davon auszugehen, dass die Furcht einen alten, evolutionären Ursprung hat. Sie soll uns in Gefahrensituationen veranlassen, in Bewegungslosigkeit zu erstarren, zu fliehen oder zu kämpfen. Von unerschrockenen literarischen Helden wie Siegfried oder Sherlock Holmes abgesehen, empfinden wir sie alle. Furcht ist ein Schutzsystem, das uns hilft, Gefahren zu vermeiden, statt ihnen blindwütig zu begegnen. Wenn Homo sapiens , mit einem Löwen konfrontiert, erst die Sprungbahn des Tiers berechnete, um dann zu entscheiden, was zu tun sei, würde er eine leichte Beute werden (Abbildung 4.1). Ganz ähnlich verhielte es sich, wenn Versuch-Irrtum-Lernen durch persönliche Erfahrung der einzige verfügbare Lernmechanismus wäre: Tiere und Menschen wären längst aus dem Genpool entfernt worden, bevor sie herausgefunden hätten, welche Fressfeinde und Situationen vermieden werden müssten. Doch die Objekte unserer Furcht sind nicht gänzlich in unsere Gene eingeschrieben; sonst könnten wir niemals lernen, gefährliche neue Technologien zu vermeiden. Aber wenn weder Kultur noch Natur, was dann?
In diesem Kapitel möchte ich zwei ausgeklügelte Methoden beschreiben, die uns ermöglichen, gefahrlos zu lernen, was wir fürchten müssen: soziale Nachahmung und biologisch vorbereitetes Lernen ( preparedness ). Ich möchte aber auch zeigen, wie externe Kontrolle Angst erzeugt und den Menschen die Fähigkeit zum Umgang mit Ungewissheit nehmen kann. Wenn wir unsere unbewussten psychologischen Funktionen verstehen, sind wir möglicherweise ein wenig besser in der Lage, überflüssige Ängste abzulegen und zugleich die richtigen Dinge zu fürchten.
Soziale Nachahmung
Viele Europäer gehen in den Wald und suchen sich Pilze zum Mittagessen; Amerikaner schütteln angesichts solchen Leichtsinns den Kopf. In den Vereinigten Staaten gibt es mehr Gewehre und Pistolen in Privatbesitz als Einwohner; Europäer wären entsetzt bei dem Gedanken, ihr streitsüchtiger und betrunkener Nachbar könnte eine Waffe zur Hand haben. Warum fürchten Menschen unterschiedliche Dinge? Interessanterweise liegt diesen kulturellen Unterschieden eine gemeinsame Psychologie zugrunde, die nicht auf unmittelbarer persönlicher Erfahrung beruht. Bei Pilzen, Schlangen oder Spinnen wäre es sicherlich nicht ratsam, jedes einzelne Exemplar auszuprobieren, um zu sehen, ob es giftig ist. Unsere Psychologie schützt uns davor, diese tödlichen Fehler in ungewissen Welten zu begehen. Das Sprichwort sagt: Nur der Dumme lernt aus seinen Fehlern, der Kluge aus den Fehlern der anderen. Dieser Klugheit liegt ein unbewusstes Prinzip zugrunde, die soziale Nachahmung der Furcht :
Fürchte, was deine soziale Gruppe fürchtet.
Dieses einfache Prinzip schützt uns, wenn persönliche Erfahrung tödlich sein kann. Gleichzeitig kann es uns aber auch veranlassen, die falschen Dinge zu fürchten. Allerdings ist es oft weniger gefährlich, die falschen Dinge zu fürchten, als den anderen Fehler zu begehen – eine tödliche Gefahr nicht zu bemerken. Es ist besser, zweimal auf blinden Alarm
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