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Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)

Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)

Titel: Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Gigerenzer
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aufweisen. Diese Faustregel macht es möglich, die Farbe der Oberfläche zu bestimmen, ohne von Schatten irregeführt zu werden.
    Das Schachbrett zeigt, dass Intelligenz nicht die Fähigkeit ist, jede von einem Quadrat reflektierte Abstufung des Lichts oder – allgemeiner – jede Information exakt wiederzugeben, sondern die Kunst, fundierte Vermutungen anzustellen. Optische Täuschungen helfen uns, die Arbeitsweise unseres Gehirns zu verstehen:
    • Unser Gehirn hat unzureichende Informationen über die Welt.
    • Intelligent sein heißt, über die vorliegenden Informationen hinauszugehen und fundierte Vermutungen über die Außenwelt anzustellen.
    • Im Zuge solcher Vermutungen begeht jedes intelligente System »gute« Fehler.
    Vielleicht haben Sie schon einmal eines dieser populärwissenschaftlichen Bücher über kognitive Prozesse gelesen, die auflisten, welche Verstöße wir gemeinhin gegen die Vernunft begehen. Meist stellen sie eine direkte Analogie zwischen visuellen und kognitiven Täuschungen her. Die Begründung lautet: Was können wir von unserer Vernunft und unserem Denken erwarten, wenn schon das Wahrnehmungssystem systematische Fehler begeht? Wie optische Täuschungen, so die darin verbreitete Ansicht, seien auch kognitive Täuschungen nur schwer zu überwinden. Das sei der Grund, warum die Erziehung der breiten Öffentlichkeit zum Scheitern verurteilt sei und warum paternalistische Strategien, welche den Menschen zum »richtigen« Verhalten lenken, die einzig denkbare Alternative seien. Diese Argumentation lässt das Wesen menschlicher Intelligenz außer Acht.
    Weder eignet sich das Sehsystem als physikalisches Lichtmessgerät, noch sollte es das sein. Das ist nicht seine Aufgabe. Es soll über die gesammelten Informationen hinausgehen und Vermutungen über die Außenwelt anstellen.
    Solche »Fehler« zu machen ist kein Mangel; ohne sie würden wir die Gegenstände in unserer Umgebung nicht erkennen. Wenn ein System keine Fehler macht, ist es nicht intelligent. Tatsächlich sind optische Täuschungen ein Beweis für den Erfolg und nicht das Versagen der Kognition.
    Gute Fehler
    Einer optischen Täuschung zu unterliegen bedeutet, wie gesehen, dass man einen guten Fehler macht. Gute Fehler sind nützliche Fehler. Kinder sind dafür bekannt. Nehmen Sie einen Dreijährigen, der »ich gebte« sagt statt »ich gab«. Das Kind kann nicht von vornherein wissen, welche Verben regelmäßig und welche unregelmäßig sind. Da unregelmäßige Verben selten sind, geht das Kind von der regelmäßigen Form aus, bis es eines Besseren belehrt wird. Wenn das Kind dagegen beschlösse, auf Nummer sicher zu gehen und nur jene Verben zu verwenden, die es bereits gehört hat, würde es viel langsamer lernen. Daher sind solche Fehler gut oder funktional. Wir müssen durch Misslingen lernen, oder es wird uns misslingen zu lernen.
    Der glückliche Zufall – die Entdeckung von etwas, was man nicht zu entdecken beabsichtigte – ist häufig das Ergebnis eines Fehlers. Christoph Kolumbus wollte einen Seeweg nach Indien finden. Er glaubte, er könne Indien per Schiff erreichen, weil er einen Fehler beging: Er unterschätzte den Erddurchmesser erheblich. Andere wussten es besser und kritisierten seinen Plan als töricht. Sie hatten recht. Doch dank seines Fehlers entdeckte Kolumbus etwas anderes, Amerika. Ganz ähnlich waren einige meiner Entdeckungen nie geplant, so zum Beispiel die des »Weniger-ist-mehr-Effekts«. Das war folgendermaßen:
    Für ein Experiment brauchten wir eine Reihe leichter und eine Reihe schwerer Fragen. Da die Versuchsteilnehmer Deutsche waren, stellten wir ihnen Fragen zur Einwohnerzahl deutscher Städte (leicht) und amerikanischer Städte (schwer). Dazu wählten wir jeweils die 75 größten Städte beider Länder aus. Zum Beispiel:
    »Welche Stadt hat mehr Einwohner: Detroit oder Milwaukee?«
    »Welche Stadt hat mehr Einwohner: Bielefeld oder Hannover?«
    Das Ergebnis frappierte uns. Die Deutschen schnitten nicht bei den deutschen Städten am besten ab, über die sie eine Menge wussten, sondern bei amerikanischen Städten, über die sie wenig wussten. Unser Fehler lag in der Annahme, dass mehr Wissen immer zu besseren Schlussfolgerungen führe. Ohne diesen Fehler hätten wir nie die Faustregel entdeckt, die wir Rekognitionsheuristik nennen: 49
    Wenn du den Namen einer Stadt erkennst, aber nicht den einer anderen, dann schließe daraus, dass die erkannte Stadt mehr Einwohner hat.
    Viele der deutschen

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