Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)
beantworten konnten, als es um eine Krankheit statt um einen Zauberstab ging. Bedenken Sie, dass noch keines dieser Kinder etwas über Prozentsätze und Relationen gelernt hatte. Trotzdem fanden 14 Prozent der Zweitklässler und 51 Prozent der Viertklässler die richtige Antwort: dass nur vier von je 16 Schülern mit einem Zauberhut auch einen Zauberstab haben.
Jedes Kind bekam insgesamt sechs Aufgaben. Mit Bildzeichen (Icons) lösten die Zweitklässler 22 Prozent der Aufgaben (Abbildung 12.2), ein Wert, der dem Prozentsatz der Ärzte entspricht, die das Screening-Problem in Form von bedingten Wahrscheinlichkeiten zu lösen imstande waren (vgl. Abbildung 9.1 oben). Viertklässler beantworteten 60 Prozent der Aufgaben richtig. Selbst wenn der Text ohne Bildzeichen vorgelegt wurde, konnten die jüngeren Kinder 11 Prozent und die älteren 40 Prozent der Aufgaben lösen.
Abbildung 12.2: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schüler der Ravenclaw-Zauberschule einen Zauberstab besitzt, wenn er einen Hut aufhat? Kinder können komplexe Probleme (sogenannte Bayes-Probleme) lösen, wenn diese mittels natürlicher Häufigkeiten dargeboten werden. Werden Icons (wie in Abbildung 12.1) zu den Zahlen hinzugefügt (siehe Text), findet ein Fünftel der Zweitklässler und mehr als die Hälfte der Viertklässler die richtige Antwort. Dank dieser Technik sind Kinder in der Lage, diagnostische Probleme zu lösen, die für Ärzte eine echte Herausforderung sind.
Genauso gut waren Viert- bis Sechsklässler in Beijing, obwohl auch sie in der Schule noch keine Verhältnisrechnung gehabt hatten. Nicht alle Kinder können die Fragen richtig beantworten, aber die Entwicklung von der zweiten zur vierten Klasse verläuft rasch. Alles in allem kann die Mehrheit der Viertklässler mithilfe von Bildzeichen Probleme lösen, an denen viele Ärzte immer noch scheitern. Können natürliche Häufigkeiten und Symbole auch Kindern helfen, bei denen eine »Rechenschwäche« festgestellt wurde, das heißt eine ungewöhnliche Lernschwäche beim Erwerb rechnerischer Fertigkeiten? Überraschenderweise konnten diese Kinder die Aufgaben genauso leicht lösen und zogen aus den Bildzeichen fast ebenso großen Nutzen wie andere Kinder. Das lässt darauf schließen, dass das Problem weniger eine Frage der Gene ist als vielmehr der Art und Weise, wie die Information vermittelt wird.
Jetzt haben Sie und Ihr Viertklässler ein Werkzeug zur Hand, um die Wahrscheinlichkeiten von Krankheiten oder Zauberstäben zu verstehen. Kinder können effiziente Denkwerkzeuge zu beherrschen lernen, sobald wir unsere Unterrichtsmethoden ändern.
Zwei Grundprinzipien des Unterrichts
Probleme in der wirklichen Welt lösen
Unsere Kinder werden in Algebra, Geometrie, Trigonometrie und Infinitesimalrechung unterrichtet. Mit anderen Worten: Wir bringen ihnen die Mathematik der Gewissheit bei, nicht die der Ungewissheit, das heißt statistisches Denken. Wie viele von uns müssen am Arbeitsplatz oder zu Hause quadratische Gleichungen lösen, die Schnittfläche eines Würfels mit einer Ebene berechnen oder über irrationale Zahlen nachdenken? Es wird oft behauptet, die Ausbildung in abstrakten Disziplinen wie Algebra und Geometrie verbessere die Denk- und Problemlösungsfähigkeiten. Wäre das richtig, hätten wir nicht so viele Ärzte, die keine Gesundheitsstatistiken verstehen, oder Anwälte, die durch DNA -Evidenz verwirrt werden. 253 Irgendwelche Belege für solche positiven Effekte wurden weder von dem Psychologen E. L. Thorndike in den 20er-Jahren noch in zeitgenössischen Studien gefunden. 254 Wenn wir uns eine neue Generation wünschen, welche die vor uns liegenden Probleme lösen kann, sollten wir ihr deshalb lieber die notwendigen kognitiven Werkzeuge als abstrakte Prinzipien beibringen.
Für lebensnahes Problemlösen ist statistisches Denken das nützlichste Gebiet der Mathematik – und dasjenige, das Kinder am interessantesten finden. Statistisches Denken lehren heißt, die Werkzeuge zum Lösen von Problemen in der wirklichen Welt zu vermitteln. Es sollte nicht als reine Mathematik unterrichtet werden. Statt Kinder und Jugendliche zu trainieren, Dutzende von Aufgaben mechanisch mithilfe einer bestimmten Formel zu lösen, sollten sie aufgefordert werden, Lösungen für lebensnahe Probleme zu finden. Dabei lernen sie, wie man Probleme löst, und erkennen zugleich, dass es mehr als eine gute Antwort geben kann. Ebenso wichtig ist es, Neugier zu wecken, indem man sie
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