Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)
beispielsweise anregt, Antworten auf bestimmte Fragen mithilfe von Experimenten zu finden. Zum Beispiel: »Kann jemand, der einen Kopfstand macht, Wasser trinken?« Halten Sie Kindern keine Vorträge, sondern lassen Sie sie die Antworten selbst entdecken. Sie können sich darauf verlassen, dass es ihnen gelingt. Was wichtig für den Alltag ist, muss zuerst gelehrt werden, was wichtig für den Mathematiker, später. Für die Ausrichtung an Problemlösungen für das wirkliche Leben sind transparente Risikokommunikation, motivierende Unterrichtsmaterialien und intelligente Faustregeln erforderlich. 255 Um diese Veränderungen zu verwirklichen, müssen wir die Lehrer unterrichten.
Nicht für Prüfungen, sondern fürs Leben lehren
Der römische Staatsmann Seneca, einst Erzieher Neros, sagte vor 2000 Jahren: Non vitae, sed scholae discimus . Wir lernen nicht für das Leben, sondern für die Schule. Seither hat sich wenig verändert: Lehrer, Eltern und Schüler bereiten sich auf Tests und Prüfungen vor statt auf das Leben. Kinder lernen zuerst auswendig, dann bestehen sie den Test, und schließlich vergessen sie alles. Dieser Kreislauf wiederholt sich immer wieder – in der Schule und im Studium.
Wie andere Politiker gehen auch Bildungsreformer in der Regel davon aus, dass Lehrer und Schüler gleichermaßen mit Zuckerbrot und Peitsche überredet oder angestoßen werden müssen, damit sie ihr Bestes geben. In den USA glaubt eine neue Managergeneration, dass der Weg zu besseren Schulen über Businesspläne führt, nach denen erfahrene Lehrer durch junge, schlechter bezahlte oder Online-Lernprogramme ersetzt oder die Lehrer nach den durchschnittlichen Testergebnissen ihrer Schüler bezahlt werden sollten.
Das finnische Schulsystem beruht auf ganz anderen Vorstellungen. 256 In Finnland genießt der Beruf des Lehrers hohes Ansehen, was eigentlich in jedem Land der Fall sein sollte. Nur wenige Universitäten dürfen Lehrer ausbilden, und die Zulassung zu diesen Eliteprogrammen ist sehr begehrt: Nur jeder zehnte Bewerber wird angenommen. Da bleibt kaum Raum für Inkompetenz. Lehrer nehmen es mit ihrer beruflichen Verantwortung sehr ernst. Ihr Antrieb ist eine starke intrinsische Motivation, nicht die Hoffnung auf Zulagen; die Abgestumpftheit unfähiger, nicht motivierter Lehrer ist ihnen fremd. Sie haben große Freiheiten bei der Entscheidung über den Unterrichtsstoff und würden sich weigern, ihre Schüler auf standardisierte Tests vorzubereiten. Stattdessen entwickeln sie eigene Tests, um sich über die Bedürfnisse ihrer Schüler klar zu werden. Aber selbst diese Tests sind selten. Finnische Schulen übertreffen Schulen in anderen europäischen Ländern und in den USA fast in jeder Hinsicht und verkörpern das Ideal der Qualität und – da sie das geringste Leistungsgefälle haben – auch das Ideal der Gleichheit.
Das vielleicht wichtigste Merkmal: Das finnische System stellt Verantwortung über Rechenschaftspflicht. Ein Teil des Erfolgs beruht auf einer Faustregel, die wir schon beim Werkzeugkasten erfolgreicher Führungspersönlichkeiten kennengelernt haben:
Stelle gute Leute ein und lass sie ihre Arbeit tun.
Diese Regel trägt zu einem Klima der Leistungsbereitschaft und des Vertrauens bei. Auch in einem stärker auf Prüfungen ausgerichteten System kann man verhindern, dass Schüler nur für die Prüfung lernen und dann alles Gelernte wieder entsorgen. Hier eine Möglichkeit:
Prüfe nicht nur das Thema des letzten Monats; berücksichtige auch, was vorher und was noch nicht gelernt wurde.
Diese einfache Regel würde einen Anreiz liefern, nicht zu vergessen und zugleich kreativ über die Bewältigung der neuen Probleme nachzudenken. Das könnte auch einen Dominoeffekt auslösen, denn die Schule würde signalisieren, dass die Lösung unbekannter Probleme eine wichtige Fähigkeit ist. Schließlich hat sich das Auswendiglernen seit dem Aufkommen des Internets endgültig überlebt, liefert es uns Faktenwissen doch schneller denn je. Heute sollten Kinder lernen, selbstständig zu denken und sich in dem ihnen online gebotenen Ozean von Informationen zurechtzufinden, indem sie diese kompetent bewerten.
Wenn risikokompetente Kinder erwachsen sind, werden wir endlich Ärzte, Finanzexperten und Rechtsanwälte haben, die Risiken und Ungewissheiten verstehen. Und wir werden Kunden und Patienten haben, die sich nicht ins Bockshorn jagen lassen und wissen, welche Fragen sie zu stellen haben. Sie werden die Glieder einer
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