Riskante Nächte
wahrscheinlich gewesen wäre, dass ich heute Nacht ein bewegliches Ziel getroffen hätte, nicht bei diesem Nebel. Eines habe ich auf meinen Reisen durch den Wilden Westen gelernt, nämlich dass Revolver berüchtigt für ihre Zielungenauigkeit sind, außer auf kurze Entfernung.«
»Oje«, sagte Emma. »Dies ist eine sehr bestürzende Wendung.«
»Wieso denken Sie, dass es Hastings war?«, wollte Louisa wissen.
Anthony überlegte kurz. »Die Körpergröße stimmte. Und da war etwas an der Art, wie er sich bewegte. Ich glaube, er ist mir vom Klub aus gefolgt und hat auf eine günstige Gelegenheit gewartet.«
»Eine Gelegenheit, Sie zu ermorden.« Louisa sank bestürzt in einen Sessel. »Du lieber Himmel. Er weiß, dass wir ihm auf den Fersen sind.«
»Nicht unbedingt«, widersprach Anthony. »Ich halte es für wahrscheinlicher, dass er sich ausgerechnet hat, dass ich derjenige war, der das Collier und die anderen Dinge aus dem Tresor an sich genommen hat. Das ist im Moment alles, was er weiß, aber es genügt, um ihm Angst zu machen. Er kann ja nicht wissen, was ich mit den Tagebüchern und Briefen oder dem Collier vorhabe.«
Plötzlich fiel Louisa etwas auf, und sie sah ihn stirnrunzelnd an. »Weshalb sind Sie überhaupt zu so später Stunde hergekommen?«
»Ich wollte Sie warnen, dass in den Klubs einige unschöne Wetten abgeschlossen werden.«
Emmas Miene wurde besorgt. »Was für Wetten?«
Anthonys Finger schlossen sich fester um seinen Brandyschwenker. »Die Spieler wetten auf den Namen der verheirateten Frau, mit der ich angeblich ein intimes Verhältnis habe.«
Emma runzelte die Stirn. »Ich dachte, jeder würde glauben, Sie und Mrs. Bryce wären liiert.«
»Easton verbreitet, dass ich eine ahnungslose, unschuldige Lady, nämlich Mrs. Bryce, benutze, um eine Affäre mit der Frau eines anderen Gentleman zu vertuschen«, erklärte er ruhig.
»Lächerlich«, empörte sich Louisa. »Ich bin ja wohl kaum ahnungslos und unschuldig.«
Anthony sah sie an. Emma ebenfalls. Keiner sprach.
Louisa schob stolz das Kinn vor. »Ich bin Journalistin.«
Aus dem Augenwinkel beobachtete Anthony, wie Emma erst die Augen verdrehte und dann einen großzügigen Schluck Brandy trank. Er folgte ihrem Beispiel.
»Könnten wir jetzt wohl zu dem bedeutend wichtigeren Thema der Schüsse auf Sie zurückkommen?«, fragte Louisa mit einem bösen Blick.
»Selbstverständlich.« Er nickte. »Ich denke, wir dürfen sie als gutes Zeichen werten.«
»Als gutes Zeichen?«, entfuhr es Louisa entgeistert. »Es hat gerade jemand versucht, Sie umzubringen!«
»Und der Versuch schlug fehl.« Anthony ließ sich den Vorfall noch einmal durch den Kopf gehen. »Er hat alles auf eine Karte gesetzt und es verpatzt. Das nächste Mal wird er vorsichtiger sein. Er weiß jetzt, dass ich auf der Hut bin.«
»Das nächste Mal?« Louisas Entsetzen wuchs ins Grenzenlose.
»Kopf hoch, meine Teuerste.« Er genoss das leise Gefühl der Befriedigung, das ihn durchströmte. »Ich glaube, wir machen Fortschritte.«
»Wie können Sie die Tatsache, dass Sie im Park fast ermordet wurden, als Fortschritt bezeichnen?«, fragte sie entrüstet.
Emma musterte Anthony abschätzend. »Wenn es tatsächlich Hastings war, der Ihnen heute Nacht nach dem Leben trachtete, dann kann man wohl davon ausgehen, dass Sie ihm dicht auf den Fersen sind. Er muss wirklich sehr nervös sein, wenn er das Risiko eingegangen ist, einen Stalbridge ermorden zu wollen.«
Er schwenkte den Brandy in seinem Glas. »Das hoffe ich doch sehr. Nervöse Männer begehen Fehler.«
33
»Ich muss Ihnen sagen, dass wir alle unendlich erleichtert waren, den Tratsch über Sie und Anthony zu hören«, gestand Clarice unbekümmert.
Louisa stolperte über einen kleinen Stein auf dem Gehweg. Sie strauchelte und hätte beinahe ihren Sonnenschirm fallen lassen.
»Sie waren erleichtert?« ,presste sie heraus. Sie war sich bewusst, dass ihr Mund sehr wahrscheinlich äußerst undamenhaft offen stand.
Sie und Clarice machten einen Spaziergang durch den Park hinter dem imposanten Stadthaus der Stalbridges. Anthony war mit seinen Eltern im Haus geblieben.
Es war nicht das erste Mal, dass eine Bemerkung seitens eines Mitglieds des Stalbridge-Clans Louisa aus der Fassung gebracht hatte. So erging es ihr schon, seit Anthony sie vor einer Stunde in den eleganten Salon der Familie geführt und sie den Anwesenden vorgestellt hatte.
Nichts war so verlaufen, wie sie es erwartet hatte. Anthonys aufmunternden
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