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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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Beginn der sechziger Jahre geführt habe – vier Tage in der Woche zu Hause bei meiner Familie, meiner klugen Frau, meinen kleinen Kindern und meinen Büchern, drei Tage in Stockholm –, hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, den Donnerstagabend fruchtbaren Nichtigkeiten zu widmen. Die Zeit war zu kurz, um heimzufahren, zu kurz, um ernsthaft an etwas zu arbeiten.
    In den ersten Jahren hatte ich diese Donnerstagnächte in irgendwelchen Hotels verbracht, manchmal bei einem Freund, in irgendeiner entlegenen Vorstadt, morgens gegen sechs von fremden kleinen Kindern geweckt, die mir Teddybären unter die Nase hielten und mit bonbonverschmierten kleinen Fingern in meinem Haar wühlten und mit den gleichen Fingern die Manuskripte in meiner Aktenmappe gründlich untersuchten, mit dem Morgenaufwasch in einer fremden Küche beschäftigt, kalten Winterwinden auf den Plattformen entlegener U-Bahnstationen ausgeliefert.
    Dieses unruhige Leben, dieses Donnerstagsexil, das übrigens meiner Frau sehr viel bedeutet hat, die an den Donnerstagabenden die Zeitungsartikel schreibt, zu denen ich ihr an anderen Abenden vor lauter Reden keine Zeit lasse, veränderte sich radikal im Jahre 1966, als die Tante meines Mitarbeiters starb.
    Diese kleine Wohnung in der Hagagatan mit ihrem Duft nach Kurzwarenladen, mit ihrem altmodischen Gasherd und ihren Öldrucken zeichnete sich vor allem dadurch aus, daß man morgens, wenn man sich seinen Tee kochen oder sein Ei braten wollte, die Küche immer in einer gespannten Erwartung betrat, wen man dort wohl antreffen würde.
    Ich hatte das kleinste Zimmer zu meiner Verfügung. Es war ausgestattet mit einem prachtvollen Kachelofen, einem Sessel und einem winzigen Schreibtisch, auf dem in schweren Stapeln meine Bücher ruhten.
    (Bücher verfolgen mich wie eine Pest. Ich unternehme nie etwas, um sie mir zu beschaffen. Wo ich mich auch befinde, wachsen sie um mich empor, wie Pilze auf einem bestimmten Boden wachsen. Dicke Folianten, dünne Pamphlete, Bände, in denen es von Notizzetteln wimmelt, folgen mir wie anhängliche Geschöpfe durchs Leben. In meinem Haus in Västerås gibt es nur in der Küche freie Wandflächen; in meinem Arbeitszimmer füllen sie Wände und Tische und die Bodenflächen, die man nicht unbedingt zum Gehen braucht: machtlos sehe ich den Augenblick näher rücken, wo meine Familie und ich von den Büchern hinausgedrängt werden und eine eigene Wohnung suchen müssen.)
    Die übrigen Zimmer waren manchmal von dem Besitzer, öfter aber von seinen Freunden und noch öfter von den Freunden seiner Freunde bevölkert.
    Das hatte schließlich die sonderbare Folge, daß man beim Frühstück grundsätzlich jedermann antreffen konnte. In dieser Küche mit ihren freundlich bemalten Kräuterdosen aus Porzellan und den verbeulten Aluminiumtöpfen habe ich mich beim Frühstück mit großen Schauspielerinnen unterhalten, mit dünnen Cambridgedozenten, alten Kindheitsfreunden, kurzhaarigen jungen Männern, die vielleicht noch vierundzwanzig Stunden davor zu einem amerikanischen Marineverband in Vietnam gehört und die Angst der Gejagten noch im Blick hatten, mit russischen Bassisten, jungen Maoisten, die mich bei einer Tasse Tee mit geeigneten Zitaten aus dem handlichen Büchlein des Großen Vorsitzenden erfreuten. Die Wohnung hat ihre großen Zeiten gehabt und ebenso lange Zeiten, wo sie so stumm und tot war, daß ihre Stille mich fast wahnsinnig machte und ich anfing, auf die asthmatischen Atemzüge eines alten Ehepaares zu achten, das in der Wohnung darüber wohnt und sich offenbar jeden Abend ein neues Bett zusammenschreinert, bevor es sich schlafen legt.
    Eine Zeitlang wohnte hier eine ganze Familie mit einem kleinen Kind, über dessen Körbchen ich nicht selten im Dunkeln stolperte, wenn ich nach einer Theaterpremiere spät nach Hause kam.
    An diesem zerkratzten Küchentisch sind nach und nach die Ideen der sechziger Jahre diskutiert worden, angefangen mit Alain Robbe Grillets Romanen bis hin zum Straßentheater am Ende des Dezenniums, ja, ich wage zu behaupten, daß einige davon hier entstanden sind. Denn da niemand erwartet hatte, den anderen hier zu finden, sind zwischen den Gruppen Funken übergesprungen; geheimnisvolle und unwahrscheinliche Kontakte sind zustande gekommen, fruchtbare Ströme haben sich zwischen Kraftfeldern entwickelt, von denen niemand glaubte, daß sie zueinander in Beziehung stünden.
    Jetzt erlebte die Wohnung in der Hagagatan eine ihrer langen stillen Perioden. Ein

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