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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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Theaterpremieren, ich lese vergessene Philosophen an meinem Kaminfeuer in Västerås, ich habe an ein sehr langes Gedicht letzte Hand angelegt: ich werde es dir zeigen, es heißt »Liebeserklärung«.
    – Weshalb?
    – Weil es eine Liebeserklärung ist.
    – An wen.
    – Oh, an irgend jemand. An jemand .
    – Natürlich an jemand.
    – An einen besseren Menschen, der kommen muß, an eine bessere Menschheit – und es ist meine feste Überzeugung, daß die Zeit gekommen ist, wo man wählen muß zwischen Untergang und Gemeinschaft.
    – Wer war sie?
    – Eine sephardische Dame. Ich habe sie flüchtig an einem Ort gesehen. Sie ist fort.
    Er strich liebevoll mit der Fingerspitze an der rasiermesserscharfen Schneide des gewaltigen Messers entlang und erwiderte:
    – Ich hatte unrecht. Du hast dich verändert.
    – Jetzt bin ich sehr müde; du kannst nicht sehen, wie sehr. Ich muß schlafen.

Donnerstag mit drei Barschen
     
    Das erleuchtete Zifferblatt an der Adolf-Fredrik-Kirche zeigte schon halb sechs. Die Bäume auf dem Friedhof bogen sich unter der weißen Schneelast. Es war dies oder jenes Jahr, vor oder nach den Episoden, die ich gerade erzählt habe.
    Auf dem Sveavägen pflügte sich der Verkehr durch dicken Schneematsch, der bis an die Häuserwände hochspritzte.
    Im Inneren des großen Verlagshauses ebbten Lärm und Unruhe des Tages allmählich aus. Das Telefongeklingel verstummte, nur vereinzelt wurden noch Schritte laut; nach und nach erloschen in den Arbeitsräumen die Lichter.
    Deutlicher war nun das schwache, aber durchdringende Geräusch der Druckpressen zu vernehmen, es versetzte die gläsernen Wasserkaraffen in Schwingung: so hatten die Prismen in den Kristallüstern des Direktionszimmers jahrzehntelang vibriert.
    Ich machte die Lichter in meinem Zimmer aus, brachte eine feierliche, fast zeremonielle Ordnung in die wachsenden Stöße von Büchern und Manuskripten auf meinem Tisch, riß das Kalenderblatt ab und drehte den Schlüssel zweimal in dem altertümlichen Türschloß um.
    In der rasch einfallenden Winterdämmerung hörte ich, wie Daniel Hjorth, unser verantwortlicher Herausgeber, mit gerundeten schonischen Diphthongen den Mädchen im Sekretariat ein Rezept für Leberpastete erläuterte. Sie hörten ihm ruhig zu, müde nach der Arbeit des Tages, die Köpfe zwischen den Armen auf den Tisch gelegt.
    An der Garderobe, wo der altertümliche Schirmständer die Regenschirme der Besucher mit einem so eisenharten Patentgriff umschließt, daß nicht selten der Bürodiener geholt werden muß, um sie wieder freizubekommen, entdeckte ich Gerard Bonnier. Das letzte Licht fing sich in seinem roten Bart, während er erst nachdenklich die Reste eines zerrissenen Exemplars von Dagens Nyheter aus sei-nen noch feuchten Galoschen zog und sich dann bemühte, eine Whiskyflasche, die vermutlich für den Hausbesuch bei einem lebensmüden Lyriker bestimmt war, in eine bereits vollgepfropfte Aktentasche zu zwängen. In diesen stillen Ringkampf mit der Außenwelt vertieft, nickte mir der Verleger freundlich und zerstreut zu, als er mich durch die Tür hinausgehen sah.
    Die schwere Eichentür schlug hinter mir zu, wie sie schon hinter so vielen Besuchern zugeschlagen war: mit einem glücklichen oder einem unglücklichen Klappen.
    Ich stand auf dem Sveavägen. Über mir dröhnten die Schläge der Kirchturmuhren, der rote Winterhimmel, der Sturm der Zeit. Schnee fiel. Unruhige Elstern duckten sich in die Friedhofsbäume. In einem Auto bellte ein eingesperrter Schäferhund. Und in seinen Augen sah ich Trauer.
    Wie das Bewußtsein eines schwer gestörten Psychopathen käuten die Schlagzeilen der Zeitungen mit monomaner Hartnäckigkeit die gleichen Gedanken über Gewaltverbrechen und seelenlose Sexualakte wieder wie an schon so vielen Abenden vorher. Wie schon so oft zuvor suchte meine Phantasie, von einem schützenden Instinkt getrieben, Zuflucht bei Hector Berlioz: bei seinem Leben, seinen Mißerfolgen, seinem stolzen Trotz.
    Schwer spielte dieser Trotz in meiner Phantasie, und begleitet von der unhörbaren, düsteren Pracht des Marschsatzes aus der »Symphonie Phantastique«, ging ich den Sveavägen hinauf, die schwere mütterliche Aktenmappe im düster feierlichen Takt des Marsches schwenkend.
    Wie eine Scheibe von opalisierendem Glas reflektierte der vergiftete Dunstkreis über der Hauptstadt das Licht.
    Meine Donnerstage sind von einer eigentümlichen Freiheit geprägt.
    Infolge des seltsamen, doppelten Lebens, das ich seit

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