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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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hochgetürmter Berg von Post versuchte mich zu Fall zu bringen, als ich zur Tür hereinkam. Eine Teetasse stand ausdruckslos noch immer an der Stelle, wo ich sie abgesetzt hatte. Ein riesiges Portrait von Che Guevara, das jemand beim Telefon in der Garderobe hinterlassen hatte, starrte mich mit feuchten Augen an.
    Von plötzlicher Müdigkeit überwältigt, heulte ich lange und ausdrucksvoll mit kleinen nachschluchzenden Lauten; ich zog mich mit beiden Händen an den Ohren und streckte die Zunge heraus, so weit ich nur konnte. Die totale Sinnlosigkeit dieser leeren Wohnung, all der Repliken und Geräusche, die sie erfüllt hatten, brach über mich herein wie eine Sturzflut.
    Der Tag war anstrengend gewesen. Die Vormittagsstunde, in der ich gewöhnlich meine Post durchsehe und die Arbeit des Tages einteile, war mir von einem Herrn gestohlen worden, der mich rechthaberisch davon zu überzeugen versuchte, daß wir alle in Wirklichkeit im Inneren der Welt, im Inneren des Erdballs lebten und daß die Sterne und die Galaxien in Wirklichkeit nichts anderes seien als Widerspiegelungen unserer eigenen neurotischen Ängste.
    Ich machte den Fehler, ihm sofort zu sagen, daß ich ganz seiner Meinung sei.
    Das machte ihn mißtrauisch, und er begann sogleich kleinlich nach sektiererischen Abweichungen meines Standpunktes zu suchen. Ich versicherte ihm, daß einige Galaxien nicht Widerspiegelungen unserer eigenen neurotischen Angst seien, sondern daß sie eine viel wichtigere, viel bedrohlichere Bedeutung hätten.
    Das erschreckte ihn, und er bat um weitere Details. Ich teilte ihm mit, daß ich in Wirklichkeit ein Homunculus sei, den ein Alchimist in einer hermetisch geschlossenen Glasflasche züchtete, und daß ich mich deshalb nicht äußern könne, bevor nicht jemand den Pfropfen herauszöge.
    Der hartnäckige Herr verstummte abrupt, zog vorsichtig seine fettfleckigen, zerknitterten und insgesamt unappetitlichen Manuskripte über den Tisch zu sich heran und verdrückte sich mit einem Blick, der angstvolles Erstaunen verriet, rasch aus dem Zimmer.
    Der Mann war riesig, mit ungewöhnlich großen Ohren, die ihm ein komisches, hundeähnliches Aussehen verliehen, und trug einen johannisbeerfarbenen Blazer, der an den Ellbogen mit Leder verstärkt war.
    Kaum hatte ich ihn mit einem erleichterten Seufzer durch die Tür verschwinden sehen, als auch schon eine muntere Stimme von der Kulturredaktion des Expressen mich fragte, ob ich in einer halben Stunde nach Marieberg kommen könnte, um mich mit drei Barschen fotografieren zu lassen.
    – Warum denn? Ich will mich nicht mit Barschen fotografieren lassen.
    – Du hast dich doch schon damit einverstanden erklärt. Hast du nicht selbst versprochen, für die Sonntagsausgabe ein Rezept für Barsche in Sahnesoße zu liefern?
    Herr Winbladh aus Sundyberg rief zum vierten Mal in dieser Woche an und bat mich, meine Ablehnung von »Am Strand des Binnensees« ausführlicher zu begründen.
    Ich antwortete ihm, sein Gedicht sei zwar sicher sehr verdienstvoll, es scheine mir aber in ein anderes Jahrhundert zu gehören. Herr Winbladh bat mich, zum dritten Mal in dieser Woche, ihm eine säuberlich numerierte Aufstellung der Regeln zu schicken, die man bei einem modernen Gedicht zu beachten habe.
    Die Sekretärin legte mir einen Zettel auf den Tisch:
    DIE ALBANISCHEN JOURNALISTEN WOLLEN NICHT LÄNGER WARTEN
    Herr Winbladh versicherte, er könne uns, wenn er nur eine solche Liste mit Regeln bekäme, innerhalb von kürzester Zeit mit besseren Gedichten beliefern, als wir sie je zu veröffentlichen in der Lage gewesen seien.
    Zerstreut hörte ich zu und blätterte dabei die morgendliche Korrespondenz durch. Ein Herr ließ ein dreißigjähriges Abonnement streichen, weil er unsere versteckte Propaganda für den Kommunismus nicht länger ertragen konnte. Vilhelm Moberg stellte fest, ich hätte endlich »die Maske fallenlassen«, indem ich die Rede des Ministerpräsidenten veröffentlichte, und kündigte sein Abonnement, das glücklicherweise ein zwanzigjähriges Gratisabonnement war. Eine neu herausgekommene, auf Matritzen abgezogene Zeitschrift verkündete in einem wehmütigen Leitartikel, daß ich ein wichtiges Element in der kapitalistischen Propaganda sei und Weisungen von Tel Aviv bekäme.
    (Aber Israels Hauptstadt ist Jerusalem.)
    DIE ALBANISCHEN JOURNALISTEN SIND JETZT SEHR UNGEDULDIG
    Ich versicherte Herrn Winbladh, er werde in zwei Tagen eine Liste erhalten, einen Codex, ein endgültiges Verzeichnis,

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