Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
Sensitivity-Riesen ganz gut erholt zu haben.
– Ich habe den Eindruck, daß die Leute im allgemeinen ganz zufrieden sind. Diese unzufriedenen Massen existieren nur im Feuilleton des Aftonbladet und bei einigen jüngeren konservativen Wirtschaftswissenschaftlern. Es gibt eine ganze Menge Unzufriedenheit und verdammt viele Leute, die herummeckern, aber geh nur mal in die Stadt und schau dich um. Sieht so denn wirklich eine Gesellschaft aus, die am Rande der Katastrophe steht? Man kann wohl sagen, daß wir einen gewissen Mangel an politischer Theorie haben, aber hier in Schweden ist politische Theorie noch nie besonders groß geschrieben worden. Wir neigen eher zu pragmatischen Lösungen, und ich glaube, das ist unsere Stärke.
Wenn dieses Ministerium seine Schwächen hat, dann beruhen sie keineswegs auf einem Mangel an politischer Theorie, sondern vielmehr auf einer unzulänglichen Verankerung in der Praxis. Wir lassen uns viel zu wenig von denen beraten, die mit den Problemen an Ort und Stelle befaßt sind. Wir haben zuwenig Kontakt mit den Universitätsinstituten, die wirklich etwas über die Zukunft wissen. Wir haben zuwenig Kontakt mit dem Wirtschaftsleben. Ein Bergwerksdirektor von, sagen wir mal, den Trummelsberger Hüttenwerken, weiß mehr über die Zukunft als ein ganzer Futurologenkongreß in Basel, weil er mitsamt seinem ganzen Hüttenwerk untergehen würde, wenn er nicht wüßte, woher der Wind weht.
Jetzt fehlte nur noch, daß jemand auf den Bergarbeiterstreik in Kiruna zu sprechen käme. Es war ja bisher noch zu keiner richtigen Schlichtung gekommen, und jeden Abend konnte man Luspa und seine Kumpel mit fester Stimme in der Tagesschau reden hören.
Mir war nicht ganz klar, ob sie sich nicht dafür interessierten oder ob das Thema einfach etwas zu heikel war. Gewöhnlich hatten sie keine besonderen Skrupel, auf der Gewerkschaft oder der Regierung herumzuhacken. Und beide Seiten gingen ja bei diesem Streik unglaublich ungeschickt vor.
Aber irgendwie war dieser Bergarbeiterstreik ein bißchen beängstigend. Er war eine Nummer zu groß und war einfach zu überraschend gekommen.
– Und was meinst du, sagte ich zu Agneta Tillich.
Sie sah etwas gedankenverloren, etwas in sich gekehrt aus. Wie gewöhnlich hatte man den Eindruck, daß sie alles, was sich unter diesen Leuten um sie herum abspielte, ganz unterhaltsam fand, daß es ihr aber nicht besonders wirklich vorkam.
Sie schenkte mir ein strahlendes Lächeln und sagte:
– Eins steht jedenfalls fest, wenn wir jetzt, mitten im Bergarbeiterstreik, Kommuniqués herausgeben, daß wir die Krise bekämpfen wollen, dann ist die Gefahr doch wohl recht groß, daß wir mißverstanden werden.
Von der Sensitivity-Gruppe war im Speisesaal nicht die geringste Spur zu sehen. Sie waren wie vom Erdboden verschluckt. Vielleicht waren sie beim Skilaufen im Schnee draußen, der jetzt wieder zu fallen begann. Wie vom Erdboden verschluckt, alle miteinander.
Beim Kaffee fingen wir an, vom Urlaub zu reden.
– Wo machst du denn gewöhnlich Urlaub, fragte ich Agneta.
Ich hatte das unangenehme Gefühl, dies sei die persönlichste Frage, die ich ihr je gestellt hatte, eine fast unverschämte Vertraulichkeit, und sie sah mich auch sehr erstaunt an, als sie antwortete:
– Gewöhnlich bin ich mit meinem Mann in der Nähe von Halmstad. Wir haben da ein Sommerhäuschen.
– Es soll dort sehr schöne Sandstrände geben, sagte ich.
– Aber es ist sehr windig. Letzten Sommer hat es uns fast davongeweht.
Mir wurde klar, daß ich im Grunde genommen immer noch nichts von ihr wußte.
Am Nachmittag sollten wir uns in Gruppen aufteilen, um jeweils ein Arbeitsgebiet zusammenzufassen und zu sehen, was wirklich erreicht worden war und wo wir unsere Pläne ändern müßten.
Das war viel unangenehmer, weil es wie eine Art Prüfung war.
Und wie wir die Sache auch drehten und wendeten, immer stießen wir auf dasselbe Problem.
Das Ministerium befand sich in einem bürokratischen Vakuum. Niemand reagierte auf unsere Vorschläge. Unsere Anregungen brachten keine Diskussionen in Gang. Man überging uns, man ließ uns links liegen, man übertrug uns keine Aufgaben, wenn es nicht unumgänglich war.
Wie stand es eigentlich mit unserer Informationspolitik? War sie erfolgreich? Von unseren Statements gelangten immer weniger in die Zeitungen. Unsere Mitteilungen schienen kein großes Publikum zu haben. Wie sah es eigentlich mit unseren Zielgruppen aus?
Ein Ministerium, sagte
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